Aids-Diskurse



Manchmal wache ich Nachts auf und habe Durst.

Als ich vor einigen Wochen so Nachts gegen 2.00 Uhr in die Küche trat, saß auf dem Küchentisch ein relativ hässliches leicht lila angelaufenen voluminöses Etwas. Ich erkannte es sofort.
Es war der Geist meines Immunsystems.
Ich fand ihn, immer wenn ich ihn sah, erschreckend hässlich, aber ich pflegte ihn auch nicht gut.

Ich begrüßte ihn mit einem;
"Hallo."
Dann wollte ich mir ein Glas aus dem Schrank holen, doch der Geist meines Immunsystems schien etwas von mir zu wollen.

Er blies sich noch mehr auf, wurde dunkellila und eine tiefe gruftige Stimme rief;
"Ada, ich muß mit Dir reden."
Ich drehte mich zu ihm um;
"Was ist denn?"
"Du schläfst mit Deiner Geliebten ohne dental dam."
"Ja."
"Ich kann das als Dein Immunsystem nicht gut heißen."
"Meine Güte, wir sind jetzt schon so lange zusammen."
"Du weißt doch nicht, was sie sonst macht."
"Ich vertraue ihr. Und so groß ist das Risiko nicht." 1
Doch der Geist meines Immunsystems ließ sich nicht beeindrucken, er hüpfte vor mir auf die Spüle;
"AIDS ist keine Kinderkrankheit."
"Die Ansteckungsgefahr ist statistisch annähernd Null."
"Und wenn was passiert muß ich es ausbaden. Außerdem hast Du auch schon ohne Kondom mit Männern geschlafen."
Der Geist hatte jetzt die Farbe von lila auf dunkelrot gewechselt und hüpfte permanent vor mir auf und ab.
"Einem Jungen, da war ich 16 und er war 17, er hatte kaum Erfahrung, das Ansteckungsrisiko war praktisch Null. Du hast eben selbst gesagt AIDS ist keine Kinderkrankheit." 2
Langsam begann mich der Geist zu nerven.
Ich versuchte ihn mit dem Geschirrhandtuch von der Spüle zu verscheuchen.

Der Geist blies sich nur noch mehr auf;
"AIDS ist gefährlich. Du achtest nie auf mich, schau doch wie ich aussehe."
"Ach, ich finde für Dein Alter geht's."
Kleine Lügen müssen erlaubt sein. Ich wollte den Geist ja nicht noch mehr beunruhigen. Doch das Genörgele ging weiter.
"Du gehst mit nassen Haaren raus, läufst barfuss rum und nimmst keinen dental dam. Du achtest mich nicht. Auch jetzt im Sommer hast Du eine Erkältung. Du gehst nie zu Vorsorgeuntersuchungen. Du rasierst Dir weder die Beine noch Achselhaare."
Langsam reichte, es mir. Ich überlegte, was ich tun konnte.
Mir kam eine Idee.

Im Abfall lag noch ein altes blutiges Tampon. Ich wusste das der Geist meines Immunsystems neugierig alles beschnüffeln musste was Blut und Körperflüssigkeiten betraf.
Ich holte das Tampon aus dem Abfall und legte es in ein leeres Marmeladenglas und tat dabei so als wolle ich das ganze vor dem Geist verbergen.
Der Geist fing an zu schnuppern;
"Was machst Du da?"
"Nichts."
"Doch, Du machst da was."
Der Geist meines Immunsystems hüpfte zum Glas machte sich klein und kroch hinein.
Ich musste nur noch den Deckel draufschrauben und hatte meine Ruhe.

Das Glas stellte ich oben auf den Küchenschrank. Dort steht es seit dem von unten nicht zu sehen und stört nicht weiter. Nur ab und an, wenn ich mit meiner Geliebten in der Küche bin, fängt es ein wenig an zu wackeln.


Ada - Hannover/Berlin, 2003 bis 2010 -


Fin











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Und noch ein kurzer Text; AIDS-Diskurse














Fußnoten

1 In festen Beziehung, in der beide monogam leben, ist die Ansteckungsgefahr gering. Ich quere ja auch noch Straßen ohne mir einen Sturzhelm aufzusetzen.
2 Zwei Jugendliche, insbesondere beim ersten mal, müssen sich kaum Sorgen um AIDS machen. Wer Risiko reich lebt, sollte natürlich die andere/den anderen schützen. Zur Verhütung einer Schwangerschaft gibt es unterschiedliche weitere Möglichkeiten, manche unsicherer, aber Kondome sind auch nicht zu 100% sicher. Und dieses Risiko ist auf heterosexuelle Beziehungen beschränkt.


























Zuletzt aktualisiert 30.01.2021





AIDS-Diskurse. Text über die Produktion eines neuen Sexualitätsdispositives durch AIDS; AIDS Safer Sex Gesundheit Kondome Verhütung Oral Analverkehr Sexuelle Befriedigung Sexualidentitätsstörung sexuelle Identität Geschlecht Dekonstruktion















AIDS-Diskurse

AIDS-Diskurse erzählen wir sollen vorsichtig sein.
AIDS-Diskurse fordern Jugendliche auf immer ein Kondom zu benutzen, obwohl Jugendliche mit wenig Sexualkontakten keine Risikogruppe darstellen.
Durch AIDS-Diskurse wird eine disziplinierte Sexualität formiert, die passgenau in eine Warenwelt passt.
In AIDS-Diskursen wird Sexualität abgehandelt als maschinellen Ablauf des Zusammenspiels sexueller Maschinen.
AIDS-Diskurse rufen, seid allzeit wachsam!
AIDS-Diskurse rufen, bewacht die Grenzen!
AIDS-Diskurse rufen, lasst niemanden unkontrolliert passieren!
AIDS-Diskurse rufen, vor Allem vor den AfrikanerInnen müsst Ihr Euch vorsehen.
Diese AIDS-Diskurse knüpfen damit an an die rassistische Ideologie von der Festung Europa.
Doch als Anarchistin halte ich Grenzen für Herrschaft, das Ziel muß keine Grenzen heißen. Obwohl es Grenzen gibt, die auch ich ziehe, aber glücklich bin ich damit nicht. Ich will eine Gesellschaft ohne Grenzen. Keine Freiheit ohne Risiko.
Durch AIDS-Diskurse wird die Ideologie penetrativer Sexualität als der wahren Sexualität verbreitet.
AIDS-Diskurse transportieren die Diffamierung von Kuschelsex als Blümchensex.
AIDS-Diskurse verstärken Tendenzen des Hygienismus und der Leibfeindlichkeit, wie sie in Praxen der Körperhaarrasur aber auch im Aushungern des eigenen Körpers zum Tragen kommen.
Und AIDS-Diskurse verstärken die Angst vor Körperflüssigkeiten und verstärken auch damit die Angst vor leiblicher Anwesenheit.
AIDS-Diskurse haben Teil an der Produktion eines neuen Warensubjekts, das sich selbst als Ware, die optimal zu vermarkten ist, definiert.
AIDS-Diskurse sind Teil der zunehmenden Medizinalisierung unseres Lebens und damit der Ausweitung der Fremdbestimmung.
AIDS-Diskurse tun viel mehr als die meisten glauben.
AIDS-Diskurse ..