Geständnisse einer Außerirdischen
Für Noam Chomsky in Dankbarkeit
Ich bin eine Außerirdische.
Ich habe dies lange verleugnet, auch vor mir selbst. Ich bin nicht davor zurückgeschreckt Anderen meine außerirdischen Abweichungen in die Schuhe zu schieben. Zeitweise war ich sogar eher bereit mir vorzumachen, ich wäre psychisch anormal, als die Wahrheit zu akzeptieren. Erst durch Noam Chomskys linguistische Arbeiten wurden mir die Augen geöffnet und mir die Erkenntnis meiner Selbst möglich. Als ich seine Texte das erste mal las, begann ich zu begreifen, wie mein Schicksal mit dem, was mir alltäglich widerfuhr, zusammenhing.
Noam Chomsky hat seit den 50er Jahren kontinuierlich eine Theorie der menschlichen Sprachfähigkeit entwickelt. Aber eben nur der menschlichen, wie Chomsky selbst betont;
"In dieser ganzen Diskussion habe ich mich auf die menschliche Sprache und die menschliche Kognition bezogen. Ich denke dabei an gewisse biologische Eigenschaften, von denen die wichtigsten genetisch bestimmt und für die menschliche Spezies charakteristisch sind [..]. Diese Eigenschaften bestimmen die Arten der kognitiven Systeme, darunter die Sprache, die sich im menschlichen Geist entfalten können. Für den Fall der Sprache werde ich den Begriff 'Universalgrammatik' verwenden, mit dem ich auf diese Eigenschaften der biologischen Ausstattung Bezug nehmen werde."1
In den Gen- und Informationswissenschaften, die die Menschen auch als Lebenswissenschaften bezeichnen, gilt er deshalb als der wichtigste Linguist der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts.
Auch für mich war er eine Erlösung. Ist mir doch nun verständlich, wieso meine Mutter, meine menschliche Ziehmutter, wie ich jetzt weiß, soviel Arbeit hatte mir die richtigen Schreibweisen und die richtige Grammatik beizubringen. Obwohl FreundInnen auch heute noch die Ansicht vertreten, ich würde meine Kommata mit der Streusalzbüchse über den Text verteilen, ist es doch besser geworden2. Aber als Außerirdische bin ich halt kein Menschenkind, für das gilt,
"daß [..] wie selbstverständlich eine grammatisch einwandfreie Form (der) Sprache (spricht, auch wenn die) Eltern beide nur gebrochen eine Mischsprache sprechen"3
Ich mußte dies alles mühevoll lernen. Nun begreife ich, wieso ich immer soviel Mühe hatte, nun macht es einen Sinn. Ich komme nicht von hier. Meine Gene wissen nicht um die Universalgrammatik. Als Außerirdische gehen mir aber nach Chomsky nicht nur die Sprachfähigkeiten ab, auch andere Erfahrungen des Ausschlusses und der Differenz finden hier ihre Erklärung. Wie oft hab ich mich nicht verstanden gefühlt als Kind und auch heute fällt es mir häufig schwer, den Menschen mein Denken verständlich zu machen.
Als Kind phantasierte ich, ich wäre das Kind Außerirdischer und irgendwo würde meine Zwillingsschwester auf mich warten. Hätte ich doch schon damals gewußt, wie wahr diese Phantasie war. Aber die Theorien von Chomsky kannte ich damals noch nicht. Dabei hätten sie mir soviel zu sagen gehabt, auch damals schon.
Denn es geht nicht nur, um die "universale Grammatik"4, sondern, um "die Sprache als Spiegel des Geistes"5, um den "Geist als eine angeborene Eigenschaft"6.
"Wir können uns [..] 'den Geist von O'7 als die O angeborene Fähigkeit zur Konstruktion kognitiver Strukturen vorstellen, d.h. als seine Fähigkeit, Wissen zu erwerben."8
Für Noam Chomsky geht es um "die angeborenen Eigenschaften des Geistes, die den Erwerb von Grammatik und Common Sense möglich machen"9. Und nach Chomsky ist sogar die Fähigkeit zur Erkenntnis von Fakten den Menschen angeboren.
"Die Universale Grammatik ist [..] mit dem entwickelten System sprachlichen Wissens aufs engste verwoben. Auf der Basis der Universalen Grammatik erwirbt der Organismus sein gesamtes sprachliches Wissen sowie auch seine Kenntnis der einzelnen sprachlichen Fakten."10
So Vieles klärt sich jetzt. Als kleines Kind muß ich als Findelkind nur zufällig auf diesen Planeten und unter die Menschen geraten sein. So klärt sich all das Unverständnis der Anderen, der Menschen, mir gegenüber in so vielen alltäglichen Dingen, die Unterschiede im Denken und das Fehlen eines gemeinsamen Common Sense. Erst die Texte von Chomsky führten mir diese unbewußt gewußte Wahrheit vor Augen. Denn eine andere Erklärungsmöglichkeit lassen sie nicht zu. Durch sie erkannte ich mich selbst.
Insbesondere die Beispiele, die Noam Chomsky zum Beleg der Theorie nennt, beweisen das, was mir so lange unglaublich erschien. So weiß nach Chomsky jedes Kind, auch ohne die entsprechende Interpretationserfahrung, daß der Satz "the candidates wanted me to vote for each other", nicht bedeutet, daß jeder Kandidat mich bat, für die/den anderen zu stimmen.11 Ich hätte dies aber genau so verstanden - als Außerirdische verfüge ich nun mal nicht genetisch über die Universalgrammatik der Species Mensch.
Wie die Ratten im Labyrinth finden sich Menschen in der Grammatik zurecht.12 Mir war das nie gegeben. Aber ich bin nicht allein. Im Laufe der Jahre habe ich Andere gefunden, für die auch die Grammatik und der Common Sense keine Selbstverständlichkeit waren. Es scheinen eine große Zahl außerirdischer Kinder auf der Erde gestrandet zu sein. Und wir werden immer mehr.13 Sicher gibt es inzwischen auch eine Reihe Mischlingskinder.
Zuerst als ich diese Zusammenhänge begriff, beneidete ich die Menschen und die Menschenkinder, denen all das angeboren in den Schoß fällt, was ich als außerirdisches Kind mir erarbeiten mußte.
Doch dann las ich weiter und mein Neid verwandelte sich in Mitleid. Denn wenn Chomsky davon schreibt, die "Sprachtheorie [..] mit Hilfe der Humanbiologie zu erklären"14 und davon, daß die Aufgabe der Humanbiologie darin bestehe, "diejenigen genetischen Mechanismen herauszufinden, die garantieren, daß das mentale Organ, die Sprache, den erforderlichen Aufbau besitzt."15 Und das das Menschenkind einen "Anfangs-" und einen "Endzustand" und einen "Input" hat16, so wird deutlich, daß Menschenkinder zum ganz Teil genetisch programmierte Maschinen sind. Als solche haben sie auch intellektuell nur recht beschränkte Fähigkeiten, und auch Chomsky folgert entsprechend, daß es Wissensbereiche geben kann, die sich Menschen aufgrund ihrer genetischen Programmierung für immer verschließen.17
Als Außerirdische stehen uns hingegen alle Welten offen, gerade weil wir die Sprache immer wieder neu (er)finden müssen.
Leider werden diese Tatsachen zu Ungunsten der Menschen durch die Forschung bestätigt. So weist die 'Zeit', eine Menschenzeitschrift, in einem Artikel unter Verweis auf Chomsky auf die Entdeckung des Sprachgens hin.18
Zum Glück scheinen die Menschen nicht wirklich zu begreifen, was dies heißt. Ihre beschränkten Erkenntnisfähigkeiten scheinen diese genetisch programmierten Roboter auch vor der Selbsterkenntnis zu schützen. Als Außerirdische, die unter Menschen aufgewachsen ist, und deren Zieheltern Menschen waren, würde ich die Menschen viel lieber als Gleiche begrüßen, als sie als für immer retardiert und in der Entwicklung beschränkt ansehen zu müssen. Ich trauere um die Menschheit.
Auf der anderen Seite, die Zahl der Außerirdischen auf der Erde nimmt zu, immer mehr außerirdische Kinder werden beim genauen Hinschauen sichtbar. Die Menschheit ist eine überlebte Spezies. Vielleicht werden einige wenige Exemplare in einigen ökologischen Nischen langfristig überleben, wir sollten dafür Schutzgebiete ausweisen, aber das Aussterben der Menschen werden wir nicht wirklich aufhalten können. Und für die Linke ist dies sogar eine Hoffnung.
Denn wenn ich aufmerksam politische Flugblätter und ihre Grammatik studiere, fällt auf, daß gerade innerhalb der radikalen Linken sich zunehmend Außerirdische in nennenswerter Zahl zu organisieren beginnen.
Ada - Hannover/Berlin, 2003 bis 2010 -
Zwei weitere Texte zur Kritik von Noam Chomsky findet Ihr unter;
Noam Chomsky - the Flash Gordon of Anarchism
& unter;
Noam Chomsky
Fin
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Und noch ein kurzeGedicht; Noam Chomsky, Licht der Anarchie, Augenstern der Freiheit
Fußnoten
1 Seite 35 - Noam Chomsky - Regeln und Repräsentationen - Frankfurt 1981
Auch im Originaltext ist der Begriff menschlich hervorgehoben.
2 Ich danke U.F. für die Korrektur dieses Textes.
3 Michael Bölker unter Verweis auf Noam Chomsky - Das Wörterbuch der Natur - Vortrag zur Ausstellung Wörterarbeit - Berlin 1999
4 Seite 144 - Noam Chomsky - Sprache und Geist - Frankfurt 1970
5 Seite 12 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
6 Seite 144 - Noam Chomsky - Sprache und Geist - Frankfurt 1970
7 O steht hier für Organismus, eine Bezeichnungsweise der Menschen für sich selbst.
8 Seite 33 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
9 Seite 184 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
10 Seite 262 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
11 Seite 50 - Noam Chomsky - Regeln und Repräsentationen - Frankfurt 1981
12 Seite 28/29 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
13 Die im Jahr 2003 viel diskutierte PisaStudie der EU zeigt wie ausgeprägt dieses Phänomen gerade in Deutschland ist. Aber die Menschen verdrängen auch hier trotz aller Offensichtlichkeit die wahren Hintergründe dieser Ergebnisse.
14 Seite 47 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
15 Seite 113 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
16 Seite 144 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
17 Seite 37 - Noam Chomsky - Reflexionen über Sprache - Frankfurt 1977
18 Wie Gene die Lippen spitzen - in: Die Zeit, Wissen - Hamburg 51/2001
Zuletzt aktualisiert 30.01.2021
Chomsky. Kritik der (soziobiologistischen) Linguistik Noam Chomskys - ein Text auf der Netzseite von Ada Frankiewicz zu den Themen: Sprachtheorie, Noam Chomsky, Sprache, Englisch, Soziobiologie, Rassismus, Imperialismus, Subjekt, Anarchie, Anarchismus, Ignoranz, angeborene, Intelligenz, Common Sense
Noam Chomsky, Licht der Anarchie, Augenstern der Freiheit
Noam Chomsky, der so ruhig und überzeugend redet,
Noam Chomsky, der moralisch gute Mensch vom MIT,
Noam Chomsky, sein Wort ist unser Brot.
Oh Noam, hilf uns das Böse zu sehen,
damit wir es in Deinem Namen, oh Noam Chomsky,
in Acht und Bann schlagen.
Gib uns die Kraft Noam Chomsky,
daß wir werden wie DU,
daß wir Karriere machen im Herzen der Bestie,
und doch leuchten als Sterne der Freiheit.
Das bist DU, Noam Chomsky, unser Freiheitsstern.
Dein Licht komme!
Noam Chomsky, der so ruhig und überzeugend redet,
Noam Chomsky, der moralisch gute Mensch vom MIT,
Noam Chomsky, sein Wort ist unser Brot.
Unsere Eltern sind Verworfene,
weil sie sich dem System ergeben haben,
aber DU, Noam Chomsky, strahlst,
weil DU mit dem System paktierst.
DU, Noam Chomsky, bist das Wort.
Und das Wort bestimmt, was wahr ist.
Sprich zu uns, Noam Chomsky,
laß Dein Wort leuchten über uns.
Denn wir sind Dir Hörige!
Noam Chomsky, der so ruhig und überzeugend redet,
Noam Chomsky, der moralisch gute Mensch vom MIT,
Noam Chomsky, sein Wort ist unser Brot.
Oh Noam, Dank Dir wissen wir,
das Volk ist gut,
und die Herrschenden sind böse.
Doch wider die Wahrheit des Noam Chomsky
toben die ungläubigen Zweifler,
und weisen auf die vom Volk Erschlagenen.
Doch das Volk war verführt,
Noam Chomsky wird ihm den Weg weisen.
Folgt Noam Chomsky!
Noam Chomsky, der so ruhig und überzeugend redet,
Noam Chomsky, der moralisch gute Mensch vom MIT,
Noam Chomsky, sein Wort ist unser Brot.