Das ungesunde Leben




Das ungesunde Leben
- Thesen zur Kritik der Diskurse
gegen das Rauchen -

Ada Frankiewicz

Hannover - Überarbeitete Auflage 2021
ISBN 9789403637341
Internet: www.ethikkommission.info
Ursprünglich publiziert - Dezember 2001
unter dem Titel
Bekenntnisse einer nichtrauchenden
Tabakabhängigen


Copyright für diese Texte: CC BY SA

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Zum Inhalt

Literaturhinweise
zum Thema Rauchen & Gesundheit






Geh nicht nachts allein durch stille Straßen! - Iß nicht zuviel! -
Sorge dafür, dass er immer ein Kondom benutzt! - Treibe Sport! -
Rauch nicht! - ..









"Leben ist strukturell ungesund, es führt im Regelfall zum Tod."


Mit den französischen Philosophen Foucault und Baudrillard lässt sich der Gesundheitsdiskurs insbesondere der Akteure im Bereich Vorsorge (Gesellschaftliche Agenturen der Biopolitik: ÄrztInnen, SozialpolitikerInnen, Interessenverbände, Krankenkassen usw.) auch als Teil einer neuen/alten Selbstschöpfung des Subjekts begreifen, das in seiner bürgerlichen Ausprägung immer der Anderen bedarf, derjenigen die ausgegrenzt werden. Die postmodernen GlobalbürgerInnen greifen dazu nicht mehr auf Kategorien wie Rasse oder Sexualität zurück, sondern zum Abjekten, zum verworfenen Anderen, werden im Zeitalter nach AIDS die unverantwortlich ungesund handelnden Mensch, die ihren Körper nicht hinreichend unter Kontrolle haben, schwitzen, stinken, Haare an falschen Stellen haben, zu viel essen, risikoreichen Sexualverkehr haben oder eben rauchen. Entsprechend ist es in diesem Denken auch richtig, die, die aufgrund Alter und Krankheit nicht mehr in der Lage sind ihre Körper hinreichend zu kontrollieren, unter Aufsicht zu stellen und abzusondern.

Die Antirauchdiskurse sind in ihrem Fanatismus nur begreifbar als Teil der zunehmenden Intoleranz der Gesellschaft insgesamt, dem Gesundheitswahn, den zwanghaften Selbstdisziplinierungen, der Lust- und Leibfeindlichkeit und der Verbotskultur unserer Zeit. In einer Zeit in der viele Menschen keine Möglichkeit sehen, sich selbst positiv zu definieren über das, was sie tun oder wie sie leben, da ihnen aufgrund der Zuspitzung der Fremdbestimmung von Arbeits- und Lebensverhältnisse im Neoliberalismus die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zunehmend entgleitet, greifen sie zurück auf die Selbstdefinition über die Ausgrenzung der Anderen, der 'Minderwertigen', der 'Disfunktionalen'. Ein Teil Menschen fällt dabei in alte rassistische oder nationalistische Klischees zurück, die postmodernen Mittelschichten schöpfen ihr Selbstwertgefühl jedoch aus der Abwertung derjenigen, die sie als Gestrige ansehen, aus der Verachtung der RaucherInnen, der FleischesserInnen, der körperlich lebenden, der schwitzenden und stinkenden Massen. Sie sind in ihrem Blick das 'minderwertige' Leben, die Menschen, die aufgrund ihres Lebens in 'Sünde' den frühen Tod verdienen.

Überdeutlich wird diese rein negative Subjektdefinition in Selbstbezeichnungen wie 'NichtraucherIn', 'VeganerIn' (=Nicht-Tierische-Produkte-NutzerIn) usw. durch die sich Menschen primär über etwas definieren, was sie nicht tun, bzw. genauer in Abgrenzung zu denen, die es tun. Nicht das Menschen nicht rauchen oder kein Fleischessen ist das Problem, sondern die Überhöhung dieses Handelns. Niemand würde sich selbst als Nicht-Orangensaft-TrinkerIn definieren oder als Nicht-TurnerIn.

Für die sich so selbst über die Abgrenzung schöpfenden Subjekte ist jede Grenzverwischung eine Bedrohung, vergleichbar den RassistInnen, für die die Vermischung mit den 'Anderen' mit der Angst vor dem Selbstverlust einhergeht, ist der Rauch jeder Zigarette für NichtraucherInnen eine Bedrohung ihres Selbst. Nur auf dieser Basis sind die völlig überzogenen Reaktionen, die das Rauchen Anderer bei vielen Menschen auslöst, noch zu verstehen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Realität, dass diese sich und andere alltäglich sehr viel größeren gesundheitlichen Gefahren aussetzen, z.B. durch Stress am Arbeitsplatz und überzogene Leistungsanforderungen oder durch Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr, als dies durch den Rauch einer Zigarette im Raum der Fall ist? Im Verhältnis zu den Gefahren, denen die Menschen sich und andere alltäglich aussetzen, ist die Gefahr durch das 'Passivrauchen' minimal.

Diese Schrift tritt für Lust und Genuss auch und gerade dort ein, wo sie unvernünftig, ungesund, schmutzig und unsauber erscheinen. Freiheit existiert nur dort, wo die Menschen auch unvernünftig sein dürfen. Um diese Freiheit zu realisieren ist es notwendig die scheinrationalen Argumente, die impliziten Inhalte und die Hintergründe der Antirauchdiskurse aufzudecken.

In diesem Sinn formuliert der erste Text, der Haupttext dieses Buches, Antirauchdiskurse - Falschaussagen, Projektionen, Instrumentalisierung - eine überarbeitete Fassung eines Textes aus 2001 - eine kritische Analyse der Antirauchdiskurse und ihrer politisch-gesellschaftlichen Funktion. Im zweiten Text Angstpolitik und Straflust in Antirauchdiskursen - eine überarbeitete Fassung eines Textes aus 2008 - wird diese Analyse für einen spezifischen Diskursstrang noch einmal vertieft. Der dritte Text des Buches Warenkörper Körperwaren (Der Text ist nur in der PDF-Fassung enthalten) zieht dann von diesen Analysen einen Bogen zum immer tiefer eindringenden Zugriff der kapitalistischen Ökonomie auf den Körper und zur der sich zunehmend konstituierenden Pflicht seiner aktiven Inwertsetzung als Investivkapital.

Der Text Antirauchdiskurse - Falschaussagen, Projektionen, Instrumentalisierung wurde ursprünglich 2000/2001 geschrieben noch vor den Antirauchgesetzen und für diese Publikation sprachlich überarbeitet. Leider sind die Zumutungen biopolitischer Disziplinarpolitiken, die Leib- und Lustfeindlichkeit seit dem nicht weniger geworden, im Gegenteil sie nehmen kontinuierlich zu. Und die an religiöse Erweckungsbewegung erinnernde Stigmatisierung des Rauchens wird inzwischen durch eine vergleichbare Bewegung im Bereich des Fleischkonsums ergänzt, die zwar noch in den Anfängen steckt, angesichts der Erfahrungen aus dem Diskurs um das Rauchen, gilt es aber rechtzeitig entgegenzusteuern. Zunehmend verbreitet sich auch in diesem Bereich eine Art religiöser Antifleischdiskurs, der mit der Realität nichts zu tun hat. Selbst im unter anderen von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen Fleischatlas heißt es: "Ein Rind, das auf der Wiese steht und das Gras verwertet, bringt zwar nicht so viel Fleisch pro Hektar Fläche wie eines, das mit Kraftfutter gemästet wurde. Dafür kann Fleisch und Milch aus der Weidehaltung annähernd klimaneutral erzeugt werden - wenn die Nährstoffe einen Kreislauf bilden und das CO2-Speicherpotenzial der Weide optimal genutzt wird." Nach Angaben diverser Fachtexte sind ca. 60 bis 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit nur als Weideland nutzbar. Eine Reduktion des Fleischkonsums pro Kopf in Deutschland ist aus ökologischen Gründen (Wasser/Flächenbedarf) und globaler Gerechtigkeitsperspektive notwendig, ein Verzicht auf Fleisch, wie ihn eine Antifleischbewegung predigt, aber nicht. Vergleichbar den Ersatzhandlungen der Antirauchbewegung, die statt für notwendige gesellschaftliche Änderungen zu kämpfen, sich auf Ersatzhandlungen und die RaucherInnen als Sündenböcke fixiert hat, sind Teile der Antifleischbewegung auf zwanghafte Ersatzhandlungen gegen den Fleischkonsum fixiert. Insofern ist dieser Text über die Antirauchdiskurse nach 20 Jahren fast aktueller als 2001, vieles ist übertragbar.

Das Ziel dieses Buches ist, die Selbstbestimmung der Menschen über ihre Körper, ihre leiblichen Bedürfnisse und ihr Leben zu stärken. Dies ist kein wissenschaftlicher Text, vielmehr eine Streitschrift, deren Zweck es ist die ausgeblendeten Bereiche des Diskurses über das Rauchen aufzudecken und diese Analysen zur Diskussion zu stellen. LeserInnen sollten diesen Text, wie jeden Text, kritisch lesen, die Argumente abwägen und schauen, was ihnen als sinnvoll erscheint.


Ada Frankiewicz - Hannover, 2021

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Inhalt









Antirauchdiskurse - Falschaussagen, Projektionen, Instrumentalisierung
- Eine Kritik der Antirauchdiskurse und Analyse ihrer politisch-gesellschaftlichen Funktion -

00 Einleitung


Es geht in diesem Text nicht darum zu behaupten, Rauchen sei nicht gesundheitsschädlich. Das sie gesundheitsschädlich sind, gilt aber für viele Dinge des alltäglichen Lebens. Autofahren, Ski-Abfahrtslauf und andere 'Risikosportarten', Süßigkeiten, Hausarbeit, soziale Armut, ungeschützter Sexualverkehr, und, und, und .. verkürzen das Leben. Es gibt viele angenehme und unangenehme Möglichkeiten das eigene Leben zu Ende zu bringen. Menschen werden krank, Menschen haben Schmerzen und Menschen sterben. Das ist ein Teil des Lebens. Diejenigen, die vorgaukeln, sie könnten den Tod besiegen, verneinen damit letztendlich dieses Leben. Denn unter dem Blickwinkel der Vermeidung von Tod und Krankheit wird jede Lebensäußerung zum potentiellen Risikofaktor. Das Leben wird zunehmend an dem einzigen Ziel der Vermeidung des Todes ausgerichtet, bis von einem Leben keine Rede mehr sein kann.

Diese Sicherheits- und Gesundheitsideologie hat so unterschiedliche Dinge zur Folge wie, die Verteufelung von RaucherInnen, aber auch die Verhinderung einer freien Entwicklung von Kindern - wenn z.B. Kinder aus 'Sicherheitsgründen' nicht mehr draußen spielen dürfen und in der Wohnung eingesperrt bleiben oder im Vorgarten -. Freiheit ist auch für Kinder nicht risikolos zu haben. Risiken, denen Eltern ihr Einzelwunschkind nicht aussetzen wollen, und lieber Entwicklungsprobleme wie 'Hyperaktivität' in Kauf nehmen. Das ist die eigentliche Verantwortungslosigkeit. Es heißt den Kindern ihre Lebensmöglichkeiten unter dem Vorwand, ihr Leben schützen zu wollen, zu nehmen. Eine besonders problematische Gewalt, da dem Kind kaum Möglichkeiten sich zu wehren gelassen werden - schließlich geschieht ja alles nur zum 'Besten' des Kindes -. Auch die Zumutungen mit denen der Medizinisch-Industrielle-Komplex einen immer weitergehenden Zugriff auf das Leben der Menschen nimmt, bis hin zur genetischen Totalerfassung, werden mit der Sicherheitsideologie begründet.
Die totale Sicherheit wird so selbst zunehmend zu einer Bedrohung für die Freiheit und für ein selbstbestimmtes Leben. Deutlich ließ sich dies auch am paranoiden sicherheitspolitischen Aktivismus, der Außerkraftsetzung grundlegender Bürgerrechte, im Nachlauf der Attentate vom 11. September 2001 beobachten. Hier kam es in vielen Staaten zur Zerstörung von Teilen der demokratischen Substanz des Staates durch den Staat.

Das die gesundheitspolitische Fokussierung auf das Rauchen darüber hinaus zusätzlich im hohen Maß verlogen ist, lässt sich anschaulich leicht an der Inkonsistenz des Handelns sehen. Würden mit dem gleichen Maßstab wie Nikotin auch andere Stoffe bewertet, z.B. Zuckerersatzstoffe oder künstliche Lebensmittelzusatzstoffe, müssten praktisch auf allen Lebensmitteln Warnhinweise angebracht werden. Beim Gang durch den Supermarkt würde dann praktisch auf allen Produkten der Hinweis zu finden sein: Dieses Lebensmittel gefährdet Ihre Gesundheit, es verursacht Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs und Allergien! Auf dem Lutscher für Kinder wäre dann ein beinamputierter Diabetiker in möglichst abstoßender Weise abgebildet, statt der zur Zeit üblichen Comicfigur. Dies ergäbe dann ganz neue Arten von Bildersammelalben für das Kinderzimmer.
Im Interesse der, im Zuge der wirtschaftlichen Konzentrationsprozesse zusammengewachsenen, Lebensmittel-, Chemie- und neuen Bioindustrie geschieht dies indes natürlich nicht. Unter dem Euphemismus des Begriffs der sogenannten 'Lebenswissenschaften' oder 'Life-Science' wird die chemische und biologisch-genetische Belastung der Lebensmittel und Umwelt im Gegenteil noch als Fortschritt verkauft. Dabei produziert diese 'Life-Science'-Industrie, nicht nur immer ungenießbarere und gesundheitsschädliche Lebensmittel, sondern bringt auch sonst vielfältig krebserregende und allergieauslösende Substanzen in die menschliche Lebenswelt ein. Es sind dieselben Konzerne, die über ihre Pharmasparten, über ihre Einflüsse in politischen und Fachgremien, und über die Teilfinanzierung universitärer Forschung nicht unwesentlich die Ausrichtung der medizinischen Forschung bestimmen.
So ist es nicht verwunderlich, dass die, mit diesen Großkonzernen aufs engste verbundene, Gesundheitsforschung, die Ärzteschaft und Lobbyinstitutionen, die Ursachenforschung für Krebs und andere Erkrankungen primär auf das Rauchens ausrichten. Und andere Belastungen in der Ursachenforschung unterrepräsentiert sind.

Die Gesundheit ist in modernen Industriegesellschaften aber vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Viele davon werden allgemein als notwendig akzeptiert, manche nicht einmal thematisiert. Das Rauchen dient für viele dieser Gefahren offensichtlich als Platzhalter. Die RaucherInnen werden so zu den Sündenböcken der Nation für all die Gesundheitsgefährdungen, die unsere industrielle Gesellschaft produziert.

Dieser Text will diese Diskussionen wirklichkeitsgerechter gestalten. Dazu ist es notwendig erst einmal all die Falschwahrnehmungen über und Projektionen auf das Rauchen zu analysieren, und gleichzeitig darzustellen, wie die Schuldzuweisung an das Rauchen psychologisch und politisch funktioniert. Es geht darum zu zeigen, in welche politischen, sozialen und psychologischen Interessenkontext diese Antirauchpolitik eingebunden ist.

Die Zerstörung des Mythos von den RaucherInnen als den Aussätzigen ist eine Voraussetzung für eine offene und selbstbestimmte Debatte über die Frage, welchen Gesundheitsgefahren wir uns aussetzen wollen, welche wir tolerieren wollen und wo auch Veränderungen des Gesellschaftssystems notwendig sind.

Wenn RaucherInnen als 'Abschaum', als 'Weichlinge', als krank und als allgemeine Gefahr dargestellt werden, wie früher die Aussätzigen, die Leprakranken, als menschlicher Abfall, und gleichzeitig wie von Gott abgefallene Ungläubige ausgegrenzt werden, weist dies darauf, dass die Antirauchdiskurse nicht primär der sachlichen Auseinandersetzung über die Gefahren des Rauchens dienen, sondern ganz andere Zwecke erfüllen. Wenn sich die in Antirauchtexten dargestellten Geschichten von RaucherInnen, die zu Rauchen aufgehört haben, lesen wie Erlösungsgeschichten aus Broschüren christlicher Kirchen, drängt sich die Frage auf: Wieso verfolgen hier Gesundheitsapostel, nicht selten mit dem Segen von Staat und der Medizin, RaucherInnen derartig zwanghaft? Ginge es nur um das Rauchen, ließen sich bei ein wenig beiderseitigen guten Willen schnell Lösungen finden, zumindest wenn RaucherInnen als gleichwertige Menschen behandelt würden.

Die Diskussion um das Rauchen ist nur das Mittel, um ganz andere politischen Intentionen zu transportieren. Es geht um unser Menschenbild, unser Verständnis von Lust und Genuss, von Arbeit und Faulheit. Das Rauchen wird bekämpft, weil es eine Form von selbstverschwenderischem Genuss ist, weil sich RaucherInnen in ihrem Genuss den Effizienzkriterien einer auf optimaler Verwertung der menschlichen Arbeitskraft basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung entziehen, weil sie ihre Gesundheit verausgaben für sich selbst, sie in die Luft blasen. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, einer Verbotskultur, in der wir uns zunehmend in einem Hochsicherheitstrakt einsperren, jegliche Gefahr zu vermeiden suchen, und damit auch das Leben und die Lust aussperren, wirkt das Rauchen als massive Provokation.

Jede unkontrollierte Befriedigung oraler und anderer Lüste wird zunehmend stigmatisiert. Das Rauchen stört auch die Reinlichkeits- und Disziplinarempfindungen unserer leibfeindlichen Kultur. Der Hustenanfall, gelbe Zähne und riechender Atem ängstigen diejenigen, die sich selbst nur zu gerne als unvergängliche effiziente Körpermaschinen imaginieren. Doch nur Schaufensterpuppen riechen nicht aus dem Mund. Wenn Menschen lieber ein Magengeschwür in Kauf nehmen als in der Öffentlichkeit zu rülpsen, weist dies auf die Fehlentwicklungen einer protestantisch leibfeindlichen Subjektdisziplin, die inzwischen vom Kapitalismus als Ausgangspunkt zum Verkauf immer neuer Körperdisziplinarwaren, von der Körperhaarrasur bis zur Dauerüberwachung mit dem Fitness Tracker, auf der Basis von Angstpolitiken vor dem Zutagetreten körperlicher Bedürfnisse und vor körperlichen Verfall und Tod genutzt wird.

In diesem Text geht es darum die Diskussionen über das Rauchen rationaler zu gestalten, verdeckten Motive der AntiraucherInnen aufzeigen und gängige rauchfeindliche Klischees und Vorurteile zu hinterfragen.


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01 - Die Stigmatisierung von Raucherinnen und Rauchern zu den Aussätzigen des 21. Jahrhunderts


Im Märchen gibt es die Guten und die Bösen. Aber selbst im Märchen gibt es auch Figuren die zwischen diesen Polen stehen. Und was Gut was Böse ist, wird gerade im Märchen selbst diskutiert. Letztendlich kann kein Mensch mit Bestimmtheit sagen, was Gut und Böse ist. In einer freien Gesellschaft muss dies zwangsläufig umstritten bleiben. Und viele Dinge sind beides gleichzeitig, sowohl gut wie auch böse. Häufig kommt es nur auf die Perspektive an. Um so komplizierter die Gesellschaft wird, um so mehr gilt dies. Die Menschen sind weder gut noch böse, sie sind einfach. Das heißt Menschen zeichnen sich durch ihre Uneindeutigkeit aus. Nur Totalitäre Staaten und FundamentalistInnen kennen ein eindeutiges Gut und Böse.

Gerade diese Uneindeutigkeit macht eine wesentliche Substanz des Lebens aus. Rausch, Lust, ist häufig mit einem darauf folgendem Kater verbunden. Das gilt nicht nur für Alkohol, sondern auch für das Rauchen, für Sexualität, für zu gutes und zu vieles Essen, und für andere Lüste, deren Sinn ja gerade darin liegt, einmal nicht vernünftig sein zu müssen, einmal nicht funktionieren zu müssen. In diesem Zusammenhang macht es keinen Sinn von gut oder böse zu reden. Nur davon, dass die Lust, der Selbstverlust im Rausch ein Eigensinn und -recht hat, keiner äußeren Legitimation bedarf. Ihr Sinn liegt gerade in ihrer Zweckfreiheit, darin dass sie es als sinnliche Erfahrung ermöglichen Sinn und Zweck, Richtig und Falsch, zu hinterfragen. Diese Uneindeutigkeit empfinden eine Reihe Menschen aber als unerträglich. In den 1960er Jahren sprach man vom Autoritärem Charakter als Persönlichkeitszug dieser Gruppe. Diese Menschen wollen eindeutige Zuweisungen, klare Grenzen, ein eindeutiges Richtig und Falsch, auch wenn sie dies erzwingen müssen: 'Willst Du nicht mein Bruder sein, schlag ich Dir den Schädel ein.' Der Präsident der USA George Bush hat diese Charakterformierung sehr bildhaft vorgeführt, als er nach dem Attentat vom 11. September 2001 formulierte, alle Länder müssten sich nun entscheiden, ob sie für die USA oder für den Terrorismus wären, als gäbe es hier ein eindeutiges Gut und Böse.

In einer Gesellschaft starker Umbrüche fühlen sich solche Menschen zunehmend bedroht. Einige richten ihren Hass gegen in 'ihrem' Land lebende Menschen anderer Staaten und Kulturen. Andere, und zum Teil die Gleichen, projizieren ihre Ängste auf die Kriminalität und fordern immer schärfere Gesetze und Überwachungsmaßnahmen. Und für einige dieser Menschen sind die Menschen selbst, der Leib, die Körpersäfte, die Sexualität, der Kontrollverlust im Rausch, die alltäglichen kleinen Süchte Fixpunkt ihrer Angst. Für sie wird die Suchtfreiheit, die kontrollierte ordnungsgemäße Sexualität, die körperliche Sauberkeit, der Wasch- und Putzzwang, zwanghaftes Ziel all ihrer Bemühungen.

All dies sind Ausweichstrategien um sich nicht mit den realen Problemen auseinandersetzen zu müssen, mit der Angst, die aus zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnissen resultiert, den Schwierigkeiten die neue offenere Beziehungsformen mit der PartnerIn bedeuten, mit der Angst, mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr mithalten zu können, mit den Gefahren für die Gesundheit durch industrielle Lebensmittelproduktion und Umweltvergiftung. All dies wird bei Seite geschoben und die ganze Angst auf einige Punkte ausgerichtet, die dann mit zum Teil menschenfeindlichen Fanatismus verfolgt werden.

Zum Ende des Mittelalters fokussierten sich derartige Ängste vor der Neuzeit auf die Sexualität und führten zum grausamen Massenmord an Frauen, die als Hexen verfolgt wurden. Heute finden sich vergleichbare Ängste in unterschiedlichen Projektionen irrationaler Bedrohungsfantasien wieder, die teilweise schon genannt wurden. In der Massenfurcht vor Kriminalität, die nur wenige real betrifft, in den Angstszenarien der Medien bei Sexualmorden an Kindern, in der Fremdenfeindlichkeit. Aber auch die manische Verfolgung von RaucherInnen gehört in diesen Bereich. Und gerade weil diese Stigmatisierung des Rauchen nur relativ harmlose Auswirkungen hat, und im Vergleich zu den anderen Problemen, niemand existenziell bedroht wird, scheint sie auch für viele ansonsten eher rational argumentierende Menschen eine willkommene Projektionsfläche zu sein. Außerdem lassen sich in ihr verschiedene Bereiche verknüpfen, der Sauberkeitswahn, die zwanghafte Körperkontrolle und die Suchtfeindlichkeit.

Der quasi religiöse Fundamentalismus einiger Antirauchorganisationen, seien es nun Therapiegruppen ehemaliger RaucherInnen oder ärztliche 'Fach'kreise, zeigt sich dabei vor allem in ihrem Anspruch, dass sie die objektive Wahrheit verkündigen würden. Totalitäre Glaubenssysteme glauben immer die Wahrheit gepachtet zu haben. Sie sind nicht bereit andere Meinungen als gleichwertig gelten zu lassen. Das Ideal absoluter Suchtfreiheit ist solch ein fundamentalistisches religiöses Relikt. Ein sinnvoller Umgang mit Süchten, eine offene Auseinandersetzung über den Umgang mit Tabak, Alkohol und anderen Rauschmitteln wird durch dieses Tabu verhindert.

Das Ideal der Suchtfreiheit ist nicht erst heute ein wichtiger Bestandteil dieser die menschliche Ambivalenz verachtenden Auffassung. Die totalitären Befreiungsversprechungen, der Befreiung vom Teuflischen, bedeuteten fast immer den Versuch der 'Befreiung' der Menschen von leiblichen Lüsten. Und sie waren auch früher schon Zeichen des Totalitarismus der Inquisition. Die puritanische Bürgerkriegspartei in England und körperfeindliche ProtestantInnen in Europa waren nicht nur mit beteiligt bei der Inquisition, ein herausragendes Zeichen ihrer Agitation war die Leibfeindlichkeit, die Verneinung von Rausch und Lust, die Verinnerlichung eines Kontrollzwanges. In Europa des 19. Jahrhunderts fand dies seine Fortsetzung darin, dass Frauen eine eigene Sexualität abgesprochen wurde, in der Verteufelung der sexuellen Selbstbefriedigung, und in den prohibitionistischen Bewegungen gegen den Alkohol.
Und genauso wie es bei diesen AgitatorInnen galt, gilt auch bei den fanatischen RauchfeindInnen: Die schlimmsten Feinde der Elche, waren früher selber welche!

Gerade in puritanischen Ländern wird unter der Hand all das betrieben, was verdammt wird. Und die Kinderheime des Vatikan sind bekannt. Das heißt die verbalradikalsten AntiraucherInnen haben häufig früher selber geraucht. Die perfide Doppelmoral anderen das zu verbieten, was mensch selber teils jahrzehntelang für sich in Anspruch genommen hat, gehört in diesem Denken zum Prinzip. Die Moralisierungen der neu Bekehrten gegenüber denen, die sich nicht bekehren lassen wollen, ist bekannt aus allen Erweckungsbewegungen und vor allem in Sekten weit verbreitet. Eine Überanpassung mit der die Neuangepassten ihre Loyalität unter Beweis stellen wollen, in diesem Fall gegenüber der sich gegen den Rauchgenuss wendenden Ideologie. Ursache dürften nicht unwesentlich, die weiter vorhandenen eigenen Lüste nach einer Zigarette und die daraus und aus dem früheren Rauchen entstehenden Schuldgefühle sein.

Eine ganz ähnliche, aber für die betroffenen jungen Frauen sehr viel bedrohlichere, Moralisierungsbewegung war in den 1990er Jahren in Polen bei älteren Frauen und Männern zu sehen. Da verdammten viele ältere Frauen, die in ihrer Jugend selbst im sozialistischen Polen die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs straffrei und staatlich finanziert in Anspruch genommen hatten, und ihre Männer, die sie dazu gedrängt hatten, die jungen Frauen die sich nun zum Schwangerschaftsabbruch entschlossen. Was in der Folge im Zusammenklang mit der katholischen Kirche zur Rekriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führte und zur politischen Verfolgung von Frauen, die sich für die Möglichkeit des straffreien Schwangerschaftsabbruchs praktisch engagierten. Diese Abarbeitung eigener Schuldkomplexe auf dem Rücken anderer ist völlig inakzeptabel. Menschen, die sich zu was auch immer bekehren lassen, muss klargemacht werden, ihre Schuldgefühle ob ihres früheren Lebens doch an sich selber auszulassen, und nicht an denen, die nur die gleichen Rechte, wie sie sie früher beansprucht haben, heute für sich beanspruchen.
Das gilt auch für AntiraucherInnen, die früher geraucht haben. Wobei die Verkehrung von Lust in Schuld aus Sicht dieser Analyse das eigentliche Problem darstellt. Aber AntiraucherInnen sollte trotzdem auch ihre leibfeindliche Disziplinarreligion nicht verboten werden, solange sie andere damit in Ruhe lassen. Das ist nur leider kaum zu erwarten.

Tatsächlich ist es auch so, dass es beim Streit über das Rauchen, meist um sehr viel mehr geht, als das Rauchen. Denn immer wirken gleichzeitig all die Zusatzbedeutungen, die auf das Rauchen im obigen Sinn übertragen werden, mit auf die Auseinandersetzung ein. Die Diskussion über das Rauchen ist so immer gleichzeitig eine Diskussion über das Verständnis von Lust, Genuss, Freiheit, Rücksichtnahme, Leiblichkeit, Disziplin, Leistung. Die Diskussion geht um das Menschenbild und um das Verständnis eines freien und selbstbestimmten Lebens, um die jeweilige Vorstellung von Gesellschaft. Ähnlich wie die Diskussion über die männliche und weibliche Schreibweise, über weibliche Endungen und das große I, erfüllt also auch die Diskussion über das Rauchen eine sehr viel weitergehende Funktion. Und wird beim großen I um das grundsätzliche Verhältnis der Geschlechter zueinander gestritten, und dementsprechend heftig und unnachgiebig, so geht es beim Rauchen um das Verhältnis zur Lust und zur Leiblichkeit.

In beiden Fällen ist es wichtig die Diskussion hinter der Diskussion zu sehen, um die Heftigkeit des Streits und seine Funktion zu verstehen. Es handelt sich hier um symbolische Auseinandersetzungen. Der Versuch dies zu bestreiten dient nur dazu eine rationalen Umgang zu verhindern. Denn solange Amtsrichter und Professoren so tun, als ginge es beim großen I nur um eine Sprachregelung und nicht um mehr, fällt es ihnen leicht die Gegenseite lächerlich zu machen. Und solange die AntiraucherInnen so tun, als ginge es tatsächlich primär ums Rauchen, müssen sie nicht befürchten, dass all ihre lust- und leibfeindlichen Kontrollfantasien, ihr eingeengtes Menschenbild und ihre Verstärkung autoritärer Sicherheits- und Sauberkeitspolitiken zur Sprache kommen, und auch nicht die daraus resultierenden Widersprüche und Absurditäten.

Die zugespitzten Absurditäten zu denen derartiger Sauberkeitspolitiken autoritärer Rechtspolitiker führen lassen sich gut an einem Beispiel aus der hannoverschen Lokalpolitik veranschaulichen. Jahrelang wurde von der Stadt geduldet, dass alternative Jugend- und Kulturzentren an dafür geeigneten Orten Plakate für ihre Veranstaltungen anbrachten. Im Zuge des Wahlkampfes und des gegenseitigen Hochschaukelns zu immer weitergehender Sauberkeitshysterie, machte es sich dann Ende der 1990er Jahre der Oberbürgermeister und die SPD-Grünen-Stadtregierung zur Aufgabe dieses 'wilde' Plakatieren zu unterbinden. Vom Oberbürgermeister wurde mit der Stadtreklame ein Vertrag abgeschlossen, der die Flächen der Stadtreklame unentgeltlich zur privaten Nutzung überließ, mit der einzigen Auflage die sogenannten 'wilden' Plakate abzureißen. Außerdem wurden alternative PlakatiererInnen verstärkt kriminalisiert. Von der Stadtreklame wurden die Flächen kommerziell vermarktet und z.B. für die Reklame für eine Pornomesse genutzt. Gewachsene Stadtkultur wurde also von einer SPD-Grünen-Regierung und ihrem Oberbürgermeister ohne irgendeine finanzielle Notwendigkeit und irgendeinen Nutzen für die Stadt zugunsten der Förderung sexistischer Werbung zerstört. Und dies alles unter dem Begriff einer sauberen Stadt. Öffentlicher Raum wurde enteignet und privatisiert. Da die alternative Jugendkultur im Gegensatz zur Pornoindustrie nicht in der Lage war sich die nun teuren kommerziellen Plakatflächen zu leisten, ging in der Folge ein Teil dieser Kultur verloren.

Wohlgemerkt passierte dies alles unter dem Stichworten einer autoritären Sauberkeits- und Ordnungspolitik, wie sie auch von Teilen der Antirauchlobby vertreten wird. Die totalitäre Gesundheits-, Sicherheits- und Sauberkeitspolitik ist im Zusammenhang mit der zunehmenden Kommerzialisierung aller unserer Lebensbereiche in ihrer Funktion zu begreifen, als Politik der Zerstörung und Verhinderung eigenverantwortlichen Handelns, um so dann aus einer entmündigten BürgerIn eine möglichst unproblematische unmündige KonsumentIn zu machen. Darum geht es auch bei der Politik gegen RaucherInnen, um ihre Disziplinierung als KonsumentInnen. Ausführlich ist dies im Textabschnitt über die Rolle der Tabakkonzerne beschrieben.

Dieser Text versucht in klassisch aufklärerischer Weise die Diskussionen und Ziele hinter dem Streit ums Rauchen aufzudecken, um das ganze thematisieren zu können. Denn es sind diese verdeckten Ziele, die bekämpft werden müssen. Es ist das autoritäre, totalitäre und leibfeindliche Bild vom Menschen, das sich in den Propagandabroschüren und -büchern gegen das Rauchen findet, das die eigentliche Bedrohung darstellt über die Antirauchpolitik hinausgehend. Dem gilt es sich in Zusammenarbeit mit allen, die ein anderes Menschenbild vertreten, entgegenzustellen. Moderne Propaganda funktioniert zwischen den Zeilen. Gelogen wird durch Auslassungen, einseitige Darstellungen und die im Hintergrund des Textes mitschwingenden Behauptungen. So ist in der Antirauchwerbung der Ekel vor körperlichen Verfall, vor den Körperöffnungen und ihrem Alterungsprozess, die Angst vor Kontrollverlust im Genuss, der Ekel vor dem Anderen, dass eigentliche Thema um das es geht, und nicht das Rauchen. Hier geht es um Werbung für eine Disziplinargesellschaft in der für menschliche Abweichungen kein Platz mehr ist.

Derjenigen oder demjenigen, denen all dies hier als überzogene Kritik erscheint, sei die Lektüre einiger einschlägiger beliebig in öffentlichen Bibliotheken herausgesuchter Bücher zum Thema Rauchen empfohlen. Denn Bücher, die abwägen oder gar für das Rauchen plädieren, werden sich dabei so gut wie gar nicht finden, die Zensur funktioniert nicht nur in den Köpfen. Da reden die Autoren weniger Autorinnen, denn wie bei jeder religiösen Verkündigung sind die Priester dieser Bewegung in der Regel Männer, des öfteren von sich selbst als 'bekennenden Antirauchern', widmen ihr Buch Jesus Christus, als würde es sich hier um ein heiliges Werk handeln, und reden von RaucherInnen in Wortschöpfungen, die eben nicht zufällig fatal an die Rede christlicher Missionare über die Ungläubigen erinnern. Da heißt es z.B. bei Allen Carr einem besonders lebensfeindlichen Missionar der Antirauchlobby; "Alle Raucher[Innen] spüren, dass sie von etwas teuflischem besessen sind." "Und je länger sie rauchen, desto tiefer sinken sie nach unten." Da verwechselt offensichtlich jemand den Duft des Tabaks mit dem Dunst der Hölle. So gilt es denn dieses "gierige Verlangen" zu bekämpfen.
Das das Zulassenkönnen eines gierigen Verlangens vielleicht gerade ein gutes Verständnis für mich und meine leiblichen Bedürfnisse bedeutet, das Lust und Verlangen nichts schlechtes sind, ist für solcherart Sektengurus undenkbar. Und auch das Klischee trivialer Diffamierung schreckt diesen Autor nicht. So sind RaucherInnen nach Carr "notorische Lügner[Innen]". Wahrscheinlich haben sie auch überlange Nasen und zu kurze Beine.

RaucherInnen, die aber nicht als verlorene Schafe von diesen selbsternannten Hirten eingefangen und geschoren werden wollen, wird mit der Verdammnis gedroht. Laut Allen Carr, diesem Missionar in eigener Sache, sind RaucherInnen, die nicht abschwören, verurteilt "zu einem Leben im Schmutz," und sie werden behandelt werden wie "Aussätzige", bis die RaucherInnen auch selbst für sich nur noch "Verachtung" übrig haben. Und hilft dies nicht folgen gegenüber diesen "Aussätzigen" auch Drohungen mit konkreter Gewalt. So droht Allen Carr RaucherInnen mit sozialer Ächtung, der Zersetzung ihrer Ehen, dem psychischen Zusammenbruch, der sozialen Verelendung und noch einer Reihe anderer Übel. Andere fordern für RaucherInnen, als angeblich die Gesundheitskassen Belastenden, erhöhte Sozialversicherungsbeiträge, obwohl bei realistischer Betrachtungsweise, diese sogar niedriger ausfallen müssten. Darauf geht dieser Text genauer im Abschnitt über die Kostenlüge ein.

Als Mitglieder ihrer Sekte erreichen fanatische AntiraucherInnen natürlich auch eine höhere Bewusstseinsstufe. Denn RaucherInnen sind, aus der Sicht dieser Erlöser, "Tölpel" bzw. Menschen, die sich selbst betrügen, die ihre wahre Lage nicht erfasst haben. Bekennende AntiraucherInnen zeichnen sich, wie die FanatikerInnen anderer Religionen und Ersatzreligionen, vor allem aus durch ihre fundamentalistische Intoleranz gegenüber Anderslebenden.

Wäre dies nicht mit einer politischen Praxis verknüpft, die oft ausgesprochen totalitäre Züge annimmt, könnte man getrost über diesen religiös verquasten Schwachsinn lachen. Leider begnügen sich aber auch die AntiraucherInnen nicht mit dem Predigen. Ähnlich wie christlich fundamentalistische Sekten in den USA erzeugen sie einen erheblichen Druck auf die Politik, der zu einer immer weitergehenden Kriminalisierung des Rauchens führt. Und vergleichbar diesen Sekten arbeiten sie dabei auch mit der Manipulation des Gewissens der RaucherInnen. Auch hier ist wieder Allen Carr ein gutes Beispiel für diese Praxis der Gehirnwäsche. Ähnlich wie ein Sektenguru redet er den RaucherInnen über 100 Seiten ein wie dreckig, schlecht und tölpelhaft sie sind. Statt mit der Hölle droht er mit Krebs und sozialer Ausgrenzung. Um dann seine eigene Erlösungsvision zu lobpreisen, und die Aufnahme in die tolle Gefolgschaft der AntiraucherInnen feilzubieten.

Diese Struktur, zuerst Menschen fertig zu machen, sie zu zerbrechen, um sie sodann in eine autoritätsfixierte Gefolgschaft einzubauen, ist bestens bekannt aus bestimmten besonders brutalen Einheiten des Militär, faschistischen Organisationen und eben Sekten. So werden Menschen mit autoritärer Charakterstruktur geschaffen. So sollen aus RaucherInnen autoritätshörige Gefolgsleute des Antirauchergurus Allen Carr werden. So heißt es bei ihm gleich wiederholt: "Alles was sie tun müssen, ist, meine Anweisungen zu befolgen. Wenn sie nur einmal den falschen Weg einschlagen, sind alle weiteren Anweisungen sinnlos." Also totaler Gehorsam oder Verdammnis. Da spricht der wiedergeborene selbsternannte Erlöser, der daran hervorragend verdient.


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02 - Sicher, Sauber, Gesund - der Fundamentalismus des Gesundheitskartells


Anfang der 30er Jahre schrieb Marie Luise Fleißner ihren Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen, eine detailreiche Beschreibung der zum Faschismus hinstrebenden KleinbürgerInnen. Sie stellt dabei die soziale Kälte und Abgestumpftheit, die Rohheit, mit der Disziplin und Abhärtung des nach Leistung strebenden Sports in Zusammenhang. Und sie zeigt die Rituale des Sports als Einübung in die faschistische Massengesellschaft. Demgegenüber stehen das Wahrnehmen der Schrecken durch die weibliche Hauptfigur, der Versuch der Liebe und das Rauchen. Ein Rauchen das sozial zunehmend stigmatisiert wurde. Gerade für Frauen war es zu dieser Zeit eine Geste des Mondänen, eine Anknüpfung an die liberale Öffentlichkeit der Weimarer Zeit. Aber nicht nur dieser liberale Gestus des Rauchens störte die nationalsozialistischen KleinbürgerInnen.

Für den Faschismus war die Volksgesundheit gleich der Wehrtauglichkeit. Rauchen war damit ein Akt mit dem sich Menschen ihrer vollen Hingabe an ihre Aufgabe entzogen. Hier gab es eine vollständige Übereinstimmung zwischen SportlerInnen und FaschistInnen. Beide sahen die Menschen primär unter funktionalen Gesichtspunkten.

Schon vor dem Nationalsozialismus wurden die ersten Studien über Rauchen und Krebs von dem Dresdener Arzt Franz Lickint (SPD) u.a. erstellt. Aber die nationalsozialistische Gesundheitspolitik startete die ersten Kampagnen gegen das Rauchen. Bei der Luftwaffe, der Post und vielen Ämtern wurde das Rauchen 1938 verboten, auch die Zigarettenwerbung wurde mit Einschränkungen belegt. Es war vermutlich auch Franz Lickint der in den 1930er Jahren den Begriff des Passivrauchens erfand.

Es ist nicht so sehr der faschistische Gruppenzwang, der von der modernen Antirauchfraktion übernommen wurde, es ist das funktionale Verständnis der Menschen eng verknüpft mit einer Vorstellung von Sauberkeit, Geradlinigkeit und Ordnung, das sich bis hinein in die Internetgeneration erhalten hat. Modernen AntiraucherInnen geht es denn wohl auch eher darum ihr Bodystiling zu erhalten, ihre schönen weißen Zähne und ihre straffe Haut, als um ihre Wehrtauglichkeit. Die Bewertung der Menschen nach quantitativen Normen führt aber auch hier zur Ausgrenzung alles Abweichenden als unwerten Lebens, dass möglichst vorzeitig pränatal abzutreiben ist. Das Rauchen hält mit der Akzeptanz der Vergänglichkeit des eigenen Leibes und des Lebens diesem postfaschistischen Idealen den Spiegel vor.

Mussten im Faschismus die Körpernormen und Sauberkeitsideale noch von Außen aufgezwungen werden, von der Gemeinschaft, vom Verein, liegt heute eine wesentlich größere Gefahr in unserer Selbstdisziplinierung. Der Gesundheitsfetischismus der Moderne setzt auf den analen Zwangscharakter, der nichts hergeben kann, alles bei sich behalten will. Der Gesundheitsfetischismus betrifft damit insbesondere auch die Modernen und Chiquen, für die die Gesundheit Investitionsgut ist, Körperkapital, das bei Zeiten in Wert zu setzen ist, aber nicht vorab und gar umsonst. Geraucht wird, zumindest im Erwachsenenalter, höchstens an Orten wo dies in ist. RaucherInnen, die rauchen wenn sie Lust haben, passen nicht in diese Welt, sondern nur draußen vor die Tür, sie vernachlässigen ihr Gesundheitskapital. Das ist fast so schlimm, wie die Ersparnisse im Sparstrumpf unter dem Kopfkissen zu deponieren. Denn das kleine Glück einer Zigarette lässt sich nicht in Quantitäten von Geld oder Blutdruckwerten ausdrücken. Es ist in diesem Taumel instrumenteller Vernunft irreal geworden.

Für die modernen Sicher- und GesundbürgerInnen ist Verausgabung ohne gesicherten Gewinn ein Fremdwort. Sie wissen nicht mehr das Leben sich zu verschleudern bedeutet. Insofern setzen auch die meisten Programme gegen das Rauchen auf eine Mischung aus Zwang und Nachsozialisation der RaucherInnen um sie zum Glück des Nichtrauchens zu bekehren. Den RaucherInnen soll vor allem erst einmal ein schlechtes Gewissen gemacht werden, weil sie nicht brav ihre Gesundheit zum Höchstwert und zum Besten der Produktivität und des Standortes zu Markte tragen, sondern sie einfach in die Luft blasen. Das aber widerspricht allen Normen des postmodernen KleinbürgerInnentums.

Gesundheit wird in der Moderne wie Geld zum Fetisch, zum Zweck an sich. Neben die Geldgier tritt die panische Angst vor allen möglichen Gesundheitsbelastungen, und die Raffgier findet ihre Parallele im Körperkult und im probiotischen Jogger. In Ergänzung zu den Ideologien von Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung tritt die Gesundheitswahrung und das Ganzkörperstyling der KleinbürgerIn. Ihre beziehungsweise seine Angst vor der Krankheit, vor dem Dreck, der Unordnung ist vor allem die Angst vor dem Leben, das über ihn beziehungsweise sie hereinbrechen könnte. Haben sie sich doch frühzeitig in ihrer Start Up Firma, seiner Wohnung oder ihrem gemeinsamen Reihenhaus sicher beerdigt, gerade um dies zu verhindern.

RaucherInnen verbrennen in ihren Augen ihre Gesundheit auf offener Straße, sie sind damit ähnlich suspekt wie Menschen, die Geld verschenken ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. So jemand ist verrückt oder krank. Zumindest, wenn er ein bestimmtes jugendliches Alter überschritten hat. Und sie würden ihn oder sie vermutlich am liebsten in die Anstalt einweisen, internieren. Da dies aber nicht so einfach möglich ist, ist es das erste Ziel der AntiraucherInnen, das Rauchen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Sollen sie doch wie die Schwulen hinter verschlossenen Türen ihrem 'Bedürfnis' nachgehen. Denn RaucherInnen sind aus Sicht der postmodernen KleinbürgerIn verrückt. Wahrscheinlich rasieren sie sich auch nicht ihre Körperbehaarung und treiben vielleicht auch keinen Sport.

Peter Brückner, linker Theoretiker und Sozialpsychologe, schrieb in den 1970er Jahren von der Mehrheit als Sekte, die sich als Gruppe nicht unwesentlich über ihre Bedrohungsängste konstituiert. Für die AntiraucherInnen bilden die RaucherInnen ein solches einfaches Feindbild über das sie sich über Generation aber auch politische Differenzen hinweg einfach verständigen können. So besteht denn auch zwischen dem 'Zurück zur Natur' ,ökologisch angehauchter älterer KleinbürgerInnen und AntiraucherInnen, und dem Ideal eines sauberen und natürlich nie nach Rauch stinkenden durchgestylten Kunstkörpers, einer jüngeren Generation, nur eine scheinbare Differenz. Der hier leicht aufgestellte Widerspruch zwischen dem Natürlichem, Naturnahem, Gesunden und dem Leben als Kunstprodukt der Schminke, der Maske und lebensfeindlicher Technik stellt zwei falsche und auch nur scheinbare Alternativen gegeneinander. Das Problem liegt nicht in der Künstlichkeit menschlicher Lebensweisen. Die Menschen als gesellschaftliche Wesen sind natürlicherweise immer schon mehr als Natur. Die Menschen und das Leben sind gesellschaftlich und leiblich.

Und die größten Verbrechen wurden gerade häufig unter dem Slogan einer neuen Natürlichkeit begangen. Der Nationalsozialismus ist dafür nur ein Beispiel. Aber auch die schönen Kunstkörper finden wir bereits in der Ästhetik der Olympischen Spiele von 1936. Denn es ist die disziplinierte Natur die angebetet wird. Und diese disziplinierte Natur wird heute wohl nirgends mehr als von denjenigen, die sich selbst als LeistungsträgerInnen einer neuen Generation verstehen, abgefeiert. Die Zigarette und rasselnder Atem passen nicht in dieses Bild funktionierender Körperroboter.

Menschen sollten sollten sich weder durch die künstlichen Zwänge dieser Gesellschaftsordnung noch durch irgendwelche als naturhaft bezeichneten Notwendigkeiten einschüchtern lassen. Dem Leben widersprechen sie beide. Und häufig fallen sie gerade im Ausschluss der menschlichen Lüste, des leiblichen menschlichen Genusses, in eins. So werden RaucherInnen gleichzeitig als dreckig, tierhaft, triebhaft und als unnatürlich bezeichnet, ein offensichtlicher Widerspruch.

Für die disziplinatorischen Zwangscharaktere des AntiraucherInnenspektrums und der neuen Ordnung, ist Natürlichkeit identisch mit Ordnung, mit der Ideologie des 'Menschenparks', mit dem sonntäglich gemähten Rasen ihres Reihenhausvorgartens bzw. ihres Kunstobjektkörpers. So gerät das Natürliche, als 'natürliche Ordnung', sogar in Widerspruch zur Natur, die als schwitzende, stinkende und überquellende, als Rausch und als Droge zur Unnatur umdefiniert wird. Ein lebender Organismus riecht, stinkt und schwitzt aber, und als Mensch hat sie Lüste und sogenannte Laster, vielleicht isst sie gerne 'zuviel' oder raucht, treibt 'unnatürlichen' Sex oder schläft einfach 'viel zu lange'. Das Unnatürliche ist die Natur der Menschen. Die Ideologie des 'Menschenpark' ist eine zutiefst uns Menschen, die Unberechenbarkeit des Lebens, des Genusses, des Rausches, des Rauchens, verachtende Ideologie. Ihren Höhepunkt findet diese Ideologie wohl in den KZ's des Nationalsozialismus und den Zielen der modernen Genetik. Die Antiraucherdiskurse sind für diese Ideologie nur ein bequemes Transportmittel. Es gilt diesen selbsternannten GärtnerInnen im 'Menschenpark' entschlossen entgegen zu treten, denn 'die GärtnerIn ist immer die MörderIn'.

Auch sogenannte 'ganzheitliche' Ansätze führen in dieselbe menschenfeindliche Sackgasse dumpfer Naturordnungen. Die 'ganzheitlichen' Ansätze beinhalten sogar das Risiko eines noch totalitäreren Zugriffs der Medizin auf alle Lebensbereiche. Gerade sie reduzieren die Menschen häufig auf das Ideal eines keimfreien, abwaschbaren Roboters, der sich nach zweckrationalen Kriterien optimieren lassen soll, nur noch umfassender. In der Ökologiebewegung dachten und denken viele in den Kategorien rein instrumenteller Vernunft, da wird alles ausgegrenzt was diese Waldorfidylle eines totalen Friedens stört. Die Menschen lassen sich aber nicht auf instrumentell-funktionales Handeln reduzieren.

Und wenn in einem alternativen Tagungshaus in einem Raum mit offenem Kamin das Rauchen mit der Begründung verboten wird, das würde hinterher so riechen, und dann eine ganze Hassflut über RaucherInnen ungefragt ausgegossen wird, dann ist es an der Zeit sich daran zu erinnern, "dass angesichts der geschichtlichen Lage und der Entstellung oder Verkehrung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen der Friede nur als unversöhnlicher über uns kommen kann, dass er den Frieden der Unterdrückung als Kirchhofsruhe unfriedlich aufkündigen muss (Peter Brückner)". Es ist wichtig sich immer wieder und überall gegen die Zumutungen bürgerlicher Zwangsmoral zur Wehr zu setzen.

Der Zusammenhang der Ordnungsideologien zeigt sich heute unbefangen in der Werbung. Hier laufen denn auch die zutiefst faschistoide Ästhetik einer Leni Riefenstahl, die Feier der Leistungsfähigkeit und eines Körperkults faschistischer Übermenschen, und die Forderungen nach gesunder Ernährung, ökologischer Ganzheitlichkeit und die Fitnessideolgie in eins. Hier eint sich in der Reklame für Lightprodukte und NLP-Kurse, was zusammenzudenken ist.
RaucherInnen stören in diesem Bild, zumindest wenn sie rauchen, weil sie Lust dazu haben und nicht um einen guten Eindruck, wie in der Zigarettenreklame, zu hinterlassen.

Den neuen PuritanerInnen geht es nicht ums Glück ihrer Mitmenschen sondern um Kontrolle. In einer patriarchalen Gesellschaft heißt dies natürlich insbesondere die Kontrolle junger Frauen. Im Extrem zeigt sich dieser Kontrollaspekt der Antirauchideologie wohl im Versuch des Zugriffs auf den Leib schwangerer Frauen. Frauen werden auf das Geburtsumfeld des heranwachsenden Kindes reduziert. Und als Raucherinnen werden sie für alle nur denkbaren möglichen Erkrankungen ihrer Kinder schon vorab verantwortlich gemacht. Als gäbe es nichts wichtigeres als irgendwelche medizinisch oder biologischen Datensätze für das Glück eines Kindes. Dies ist die Logik einer in anderen Fällen nur allzu abtreibungswilligen Pränataldiagnostik, und dies ist die eigentliche Kinder- und Lebensfeindlichkeit.
Vielleicht schadet das Rauchen dem heranwachsenden Kind tatsächlich. Aber das Problem dieser Gesellschaft ist nicht die Sucht, oder eine zu geringe Lebenserwartung, oder zu viele Krankheiten, sondern die Überdisziplinierung. Eine Überdisziplinierung unter der insbesondere Kinder leiden und die häufig direkte Gewalt für sie bedeutet.

Ja, RaucherInnen lassen sich gehen, im Tabakgenus. Sie beschneiden sich nicht selbst und das ist ihr Verbrechen in den Augen der OrdnungsfanatikerInnen. RaucherInnen verhalten sich insofern 'unnatürlich' als sie nicht zur Optimierung und zum geraden Schnitt des Wachstums in diesem 'Menschenparks' beitragen, sich nicht selbst beschneiden, sondern sich der Natur im Genuss zumindest ein Stück weit hingeben.

Es gibt wichtigeres als die Gesundheit: Die Freiheit und das Leben. Und zum Leben gehören auch Schmutz, Körper, Schweiß, Sexualität, Krankheit und Tod.


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03 - Der Rausch - eine grundlegende Erfahrung


"Es ist meine Überzeugung, dass der Wunsch, das Bewusstsein von Zeit zu Zeit zu verändern, ein angeborenes normales Verlangen ist so wie Hunger oder sexuelles Verlangen. Es ist zu beachten, das ich nicht sage, 'der Wunsch, das Bewusstsein mit chemischen Mitten zu verändern'. Drogen sind nur ein Mittel, dieses Verlangen zu befriedigen; es gibt viele andere, und ich werde sie zu gegebener Zeit besprechen. Ein angeborenes Verlangen dieser Art als gegeben vorauszusetzen, ist keine Behauptung, die bewiesen oder widerlegt werden soll, sondern einfach eine Vorstellung, die zu erproben ist, um zu sehen, ob sie zur Klärung des Verständnisses unserer Beobachtungen taugt. Die Vorstellung, die ich anbiete, stimmt mit zu beobachtenden Tatsachen überein. Die Allgegenwart des Phänomens spricht insbesondere dafür, dass es nicht sozial oder kulturell bedingt ist, sondern dass wir es mit einem biologischen Merkmal der Spezies zu tun haben. Darüber hinaus tritt das Verlangen nach Perioden außergewöhnlichen Bewusstseins schon in so frühem Alter zutage, dass es nicht viel mit sozialer Konditionierung zu tun haben kann. Jeder, der sehr kleine Kinder ohne ihr Wissen beobachtet, wird sie regelmäßig Techniken praktizieren sehen, die auffallende Veränderungen des geistigen Zustandes hervorrufen. Bei Drei- bis Vierjährigen ist es zum Beispiel üblich, sich so lange zu drehen, bis sie schwindlig benommen werden. Sie hyperventilieren und lassen sich von anderen Kindern um die Brust fassen und so lange zudrücken, bis sie beinahe ohnmächtig werden. Sie würgen sich auch, um eine Ohnmacht zu erreichen.
Meines Wissens treten diese Praktiken unter Kindern aller Gesellschaften spontan auf, und ich nehme an, dass das auch zu allen Zeiten so gewesen ist. Es ist interessant, dass Kinder schnell lernen, diese Art von Spielen außerhalb des Gesichtskreis von Erwachsenen zu treiben, weil diese instinktiv versuchen, sie davon zurückzuhalten. Der Anblick eines Kindes, das bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt wird, erschreckt die Eltern, aber dem Kind scheint es Spaß zu machen." (Andrew Weil - 'Das erweiterte Bewusstsein')



Auch wenn dieser Text nicht mit allen Punkten, die Andrew Weil hier nennt, übereinstimmt, und nicht unbedingt von angeborenen Bedürfnissen ausgehen würde, weist das Zitat von Andrew Weil doch hin auf die grundlegende Bedeutung von bewusstseinsverändernden Zuständen als Mittel, um über sich selbst und die eigene Wahrnehmung mehr zu erfahren.

Allen Menschen sind wohl entsprechende Erfahrungen und Vergnügungen bekannt. Die AutorIn dieses Textes hat als Kind zum Beispiel eine Weile mit großer Begeisterung Zugausweichen gespielt. Dabei wartet man an den Gleisen bis ein Zug kommt, um dann möglichst kurz vor der Lokomotive hinüberzurennen. Eine Bekannte meinte zu ihr, als sie ihr davon erzählte, nur "Adrenalinjunkie." Alle Menschen kennen dies, dass Aufregung auch als angenehm empfunden wird. Wozu sonst gehen Kinder in die Geisterbahn oder schauen Erwachsene sich Horror- und Actionfilme an. Andere Kinder schnüffeln Klebstoff oder rauchen Bananenschalen. All dies ist ein Stück menschlichen Alltags.

Das heißt nicht, dass dieser Text diese Dinge weiterempfehlen will. Im Gegenteil ein Umgang mit Rauschzuständen durch Erwachsene, der etwas weniger zwanghaft, tabuisierend und verdrängend wäre, würde vielleicht auch Kindern und Jugendlichen einen klareren Eindruck möglicher unerwünschter Folgen vermitteln. D. h. gerade durch die Enttabuisierung von Rauschmitteln könnten bestimmte unkalkulierbare Risiken vermieden werden. Wahrscheinlich wäre es vorzuziehen, wenn Jugendliche statt Zugausweichen zu spielen oder sich mit S-Bahn-Surfen zu beschäftigen, lieber mal eine Zigarette rauchen würden oder noch weniger Risiko reiche Möglichkeiten vermittelt bekämen.

Dabei scheint Tabak im Gegensatz zum Alkohol auf den ersten Blick keine Wirkung auf die Wahrnehmung in diesem Sinn zu haben. Dies stimmt aber nicht. Nikotin hat durchaus erhebliche Einflüsse auf das Nervensystem. Rauch kann je nach Inhalationsart sowohl entspannend wie auch anregend sein. Die verschiedenen Stoffe im Rauch haben eine ganze Reihe Wirkungen, die vor allem bei der ersten Zigarette überdeutlich werden. Im gewissen Sinn ist Tabak damit eine bewusstseinsverändernde Droge im Kleinen ähnlich wie vielleicht Kaffee. Und Tabak ist damit durchaus zu den Rauschmitteln im obigen Sinn zu zählen. So erscheint nach der ersten Tasse Kaffee oder einer Zigarette häufig alles klarer und deutlicher und die Menschen fühlen sich in einem angenehmen kleinen Hoch. Im Gegensatz zu Alkohol wird dadurch die Wahrnehmung aber nur geringfügig verändert. Das heißt RaucherInnen sind weiterhin in der Lage den Anforderungen alltäglicher Normen zu genügen. Das Rauchen erweitert nur ihre Handlungsfähigkeit.
Mit der Betonung der Wirkungen des Tabak befindet sich dieser Text übrigens in Übereinstimmung mit den Ansichten eines Großteils der AntiraucherInnen, die ja die Wirkungen des Tabak gar nicht genug betonen können. Nur das diese jegliche Bewusstseinsveränderung ablehnen und auf ein reduktionistisches, rein funktionales, Vernunftmenschenbild fixiert sind. Hier soll dagegen betont werden, dass auch Zustände des Rausches zum Leben gehören und die absolute Tabuisierung bewusstseinsverändernder Zustände und der Dinge und Stoffe, die sie erzeugen, falsch ist. Im Gegenteil, wichtig wäre gerade die eigenen Erfahrungen mit anderen zu teilen, auch mit Kindern und Jugendlichen. Ohne dabei so zu tun, als wäre dies nun alles nur schlecht. Das glaubt sowieso niemand angesichts der Alltagspraxis eines nicht gerade geringen Konsums der unterschiedlichsten Aufputsch- und Rauschmittel.

Sinnvoll wäre es den Menschen die freie Wahl und einen bzgl. der Risiken bewussten selbstbestimmten Umgang zu ermöglichen. Alle sollten in die Lage versetzt werden, die für die eigenen Bedürfnisse passenden und nutzbringenden Praxen, Drogen und Rauschmittel zu finden und mit anderen darüber ohne Tabus zu reden. Viele negative Folgen ließen sich so frühzeitig vermeiden. Folgen, die häufig aus Unwissenheit, falschem Gebrauch und Heimlichkeit entstehen. Das Tabakrauchen ist dabei nur eine Praxis unter vielen.

Tabak wird heute sicher von vielen Jugendlichen nur deshalb gewählt weil andere alternative Möglichkeiten und Rauschmittel aufgrund ihrer gesetzlichen Diskriminierung oder aufgrund mangelnder Information für sie gar nicht zur Verfügung stehen. Statt jede Form von Bewusstseinsveränderung zu tabuisieren, sollte die weite Palette an Möglichkeiten anderer Erfahrungszustände sachlich dargelegt und die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Praxen vermittelt werden. Auch unterschiedliche Formen des Tabakrauchens oder -kauens ließen sich dann vielleicht entsprechend individueller Bedürfnisse entwickeln. Insgesamt müssten endlich wieder Ideen und Mittel in die Wiederentdeckung alter und in die Entwicklung neuer bewusstseinsverändernder Techniken und Drogen fließen. Auch um gesundheitlich möglichst wenig schädliche Stoffe und Verfahren zu finden. Dies gilt auch für die Darreichungsform und Bearbeitung, z.B. des Tabaks.

Das Experimentieren mit verschiedenen Bewusstseinszuständen ist nicht nur für die psychologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden wichtig. Auch für Erwachsene bedeutet der Rausch und die Veränderung des eigenen Bewusstseins eine Möglichkeit Vorurteile zu überprüfen und sich immer wieder auch anders auszuprobieren. Nicht nur für Kinder und Jugendliche ist die damit verbundene Möglichkeit der Bewusstseinserweiterung, der Bewusstwerdung von bisher Unbekannten oder Verdrängten, des sich Ausprobierens, eine sinnvolle Erweiterung der eigenen Erfahrungsmöglichkeiten. Der Rausch und die Veränderung von Bewusstseinszuständen ist ein wichtiges Mittel zur Erweiterung der Erkenntnisfähigkeit.

In vielen Fällen ist dies auch ein sinnvolles Mittel um Barrieren einer überschießenden Selbstdisziplin zumindest für den Moment überwinden zu können. Genauso wie Schlafen und Träumen ein wichtiger Teil des Lebens sind. In Träumen setzen sich die Menschen mit all dem auseinander, was an Erlebten in ihr Unbewusstes eingesickert ist. All die kleinen Erlebnisse und Dinge, die ihnen den Tag über begegnet sind, werden hier, wie in einem Zerrspiegel, noch einmal reflektiert. Sie erscheinen in einem teilweise nur leicht verschobenen Licht, und gerade dadurch ermöglicht es ihnen der Traum die Relativität, ihrer Art die Dinge zu betrachten, zu begreifen. Im Traum wissen sie schon lange, dass ihre dreidimensionale rechtwinklige Anschauung nur eine Möglichkeit ist die Welt anzuschauen, im Traum nehmen sie damit schon lange die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie vorweg, sehen krumme und verzerrte Räume. Und in Träumen spiegelt sich auch ihr Unbewusstes, all die unterdrückten Wünsche, Phantasien und Möglichkeiten aber auch Ängste, die der Disziplinierung des eigenen Handelns und Fühlens im Alltag zum Opfer fallen. Der Traum ist damit auch für sie ein Zugang zu ihnen selbst. Der Genuss des Halbschlafes ist, wie der Rausch, deshalb keine Zeitverschwendung, sondern häufig Ausgangspunkt weiterführender Ideen und neuer Ansätze.

Bei vielen Fragen, alltäglichen aber auch solchen im Zusammenhang mit wissenschaftlicher oder literarischer Arbeit, ist die Lösung häufig nur durch eine Veränderung unserer Ausgangssicht zu finden. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Unbewussten im Halbschlaf oder im Rausch kann hier ein wichtiger Anfang sein.

Auch die Zigarette, die den Abstand für eine andere Betrachtung ermöglicht, wirkt so im Kleinen. So kann diese Praxis einer, wenn auch nur kleinen, Bewusstseinsveränderung Basis der Lösung komplizierter Probleme sein. Voraussetzung ist natürlich, dass diese ersten Ansätze dann wieder auch rational weiterentwickelt werden. Aber der erste Ansatz ist ja oft das Schwierigste. Nicht umsonst wird gerade in kreativen Berufen relativ viel Tabak konsumiert. Und nicht umsonst ist der Tabak in der Literatur z.B. das Mittel der Wahl vieler HeldInnen in Zeiten hoher intellektueller Anspannung. Die Literatur spiegelt hier ein Stück Alltagserfahrung der Nützlichkeit des Tabakkonsums wieder.

Sicher gebe es auch andere Möglichkeiten sich die notwendige Konzentration und eine alternative Sichtweise zu erschließen. Viele Techniken, z.B. meditative, sind aber mit vielfältigen Belastungen verbunden. Sie setzen häufig ein langes Training voraus und sind selbst wieder im hohen Maße disziplinatorisch. Genau dies soll ja aber vermieden werden. Und in einem Streitgespräch macht es keinen Sinn, sich erst einmal eine Stunde aufs Sofa zu legen und zu entspannen. Das gleiche gilt für den Fluss des Schreibens oder Denkens an einem Problem entlang. Die Ideen werden hier benötigt ohne autoritären Einschränkungen irgendwelcher Lehren und Meditationsvorgaben folgen zu müssen und es ist ein Stadium maximaler Konzentration notwendig, ein Zustand des Schwebens, um nicht den Faden zu verlieren. Andere konsumieren in solchen Zeiten große Mengen Koffein und Schokolade und haben statt mit der Lunge eher mit dem Magen Probleme. Doch alle suchen die schnelle Abfolge der Gedanken und Phantasien.

Selbstverständlich liegt in all diesen Dingen auch die Gefahr der Flucht. Und je stärker die Praxis oder Droge wirkt um so mehr wächst diese Gefahr, dass Menschen diese Dinge nicht mehr zu ihrem Nutzen sondern zu ihrem Schaden gebrauchen. Das gilt für Drogen aber z.B. auch für meditative Techniken, wie an Hand diverser Sekten zu sehen ist. Die Abhängigkeit ist aber nicht in der Droge, sondern in der Angst vor einer nicht mehr als zu bewältigen erscheinenden Realität begründet, und der Flucht aus ihr.

Das heißt, nicht die Droge oder bewusstseinsverändernde Handlung ist das Problem, sondern die alltäglichen Situationen, mit der Menschen überfordert werden. Die Flucht ist Ausdruck äußerer schlechter gesellschaftlicher Verhältnisse oder individueller Probleme, z.B. in nahen Beziehungen. Arbeitslosigkeit führt so häufig zur Flucht in die Droge. Und starker Stress zu übermäßigen Zigarettenkonsum. Diejenigen, die das ändern wollen, sollten ihre Kraft lieber sinnvoll darauf verwenden, die Arbeitsverhältnisse zu ändern. Sie sollten sich lieber daran beteiligen gegen die Gewaltverhältnisse in dieser Gesellschaft anzugehen, als das Kind mit dem Bade auszuschütten und das Rauchen zu verfolgen.

Aber ach, es ist ja wohl soviel einfacher, die simplen Lösungen nachzuplappern und auf die RaucherInnen einzuprügeln, anstatt zu versuchen, diese Gesellschaft mit ihren immer asozialeren Zügen zu ändern. Viele haben wohl angesichts einer übermächtig erscheinenden Sachzwangslogik, des Standortes, der Globalisierung und der angeblich unausweichlichen Zwänge kapitalistischer Konkurrenz den Mut verloren und ihre Angst und Wut statt dessen auf die Agitation gegen das Rauchen verschoben. Aus der Psychologie sind derartige Verhaltensweisen unter dem Begriff der Übersprungs- und Ersatzhandlung für scheinbar unlösbare Konflikte wohlbekannt. Und schon bei Tieren lassen sich unter Stress solche Ersatzhandlungen beobachten. Wer kennt nicht Katzen und Hunde, die sich Kratzen, wenn sie sich beobachtet fühlen.

Die Menschen sind aber keine Tier, sie haben sich von ihren Ursprüngen emanzipiert. So gibt es vielfältige kulturelle Praxen, die nicht immer gesund sind, mit denen sie ihr Leben bewusst beeinflussen. Sie fliegen durch die Luft, sie telefonieren über Kontinente, sie treiben Sport, sie lieben sich in höchst unnatürlicher Art und Weise, und auch Rauschmittel und Drogen gehören dazu.

Ein Zurück zum Naturzustand ist weder möglich, noch wünschenswert. Denn auch wenn viele menschliche Praxen den Körper belasten, so machen sie doch einen wesentlichen Teil der Lebensqualität aus. Wichtig ist hier nur, den Einzelnen die Fähigkeit zum selbstbestimmten Umgang mit diesen Praxen zu vermitteln. Dies ist die Aufgabe einer freien Gesellschaft, die nicht vor der Zukunft in Angst erstarrt. Die kulturellen Möglichkeiten sind eine Chance für Freiheit und Selbstbestimmung und die Risiken liegen in erster Linie dort, wo Dinge tabuisiert werden und eine Auseinandersetzung über problematische Folgen nicht mehr stattfindet. Die Menschen sollten diese Möglichkeiten bewusst weiterentwickeln. Dazu ist es notwendig die Rauschmittel aus dem Dunkel und Halbschatten herauszuholen. Alle Gefahren, aber auch alle positiven Aspekte, z.B. auch bestimmte medizinische Wirkungen von psychogenen Substanzen, klar zu benennen. Es ist absoluter Unsinn nun auch noch den Tabak ins Dunkel dieses antirationalen Kellers unausgegorener Ängste und verschobener Phantasien zu verbannen.

Notwendig ist eine innovative Weiterentwicklung der Handlungsmöglichkeiten und Mittel, die heute zur Verfügung stehen. Die Menschen sollten das traditionelle Wissen, soweit es noch vorhanden ist, sorgfältig aufnehmen und weitervermitteln. Dies gilt auch und insbesondere für das Wissen, das indigene Bevölkerungen über Jahrtausende bzgl. der unterschiedlichsten Substanzen angesammelt haben. In Europa ist leider durch die Inquisition und den Massenmord an heilkundigen Frauen ein Großteil dieses Wissens verloren gegangen.

Der Tabak ist ein gutes Beispiel, was passiert, wenn dieses Wissen verloren geht. Denn es ist nicht der Tabakgenuss an sich, sondern sein industrialisierter Konsum, der viele der heutigen Probleme heraufbeschwört. Die AntiraucherInnen tragen an diesem Wissensverlust durch ihre Tabuisierung jeglicher offener Diskussion über den Nutzen des Rauchens eine nicht geringe Mitschuld. Sie behindern durch ihre Angstabwehr auch einen kritischen und bewussten Umgang der RaucherInnen mit dem Tabak.

Der Genuss von Rauschmitteln, der Genuss aufputschender und entspannender Mittel war und ist in allen menschlichen Kulturen Teil der gesellschaftlichen Realität. Nur, dass heute bestimmte FundamentalistInnen versuchen die Gesellschaft ihren Zwangsvorstellungen eines Reinlichkeitswahns unterzuordnen und eine drogenfreie Gesellschaft politisch autoritär durchzusetzen. Die 'moderne' Gesellschaft wird damit zunehmend zu einem immer irrationalerem Umgang mit diesen Rausch- und Genussmitteln gezwungen. Wo in anderen Gesellschaften ritualisierte und sozial abgesicherte Formen des Drogenkonsums bestanden, lässt man in der 'modernen' Gesellschaft jährlich eine große Zahl von Menschen verelenden und sterben. Der Streit ums Rauchen ist hier nur ein Teil einer grundsätzlicheren Auseinandersetzung. Und auch deshalb ist es wichtig, eine weitere Zerstörung menschlicher Freiheit und alten Wissen durch die AntiraucherInnenfraktion nicht zuzulassen.

Die Angst vor dem Rausch, die Angst vor dem Genuss, ist dem zwanghaften Charakter vieler DrogenfeindInnen geschuldet. Vor allem ihrer eigenen Angst, unfähig zu sein mit diesen Möglichkeiten zurecht zu kommen. Deshalb sind AntiraucherInnen häufig ehemalige NutzerInnen von Tabakprodukten, die aufgrund ihrer psychischen oder sozialen Situation überfordert waren, durch die Freiheit zur Selbstbestimmung. Menschen, die das eigene Rauchen als Unfreiheit erlebt haben, und nicht begreifen wollen, dass nicht der Tabak, sondern nur sie selbst sich diesen Zwang angetan haben. Die nicht sehen wollen, dass sie heute ihre Ängste auf das Rauchen übertragen, die sie früher durch die Flucht ins Rauchen verdrängt haben. Ängste, denen sie sich auch heute offensichtlich noch nicht stellen können. Aus der bzw. dem Tabakabhängigen werden so ebenso zwanghafte AntiraucherInnen. Der fundamentalistische Antirauchwahn wird zur neuen Sucht, zur Flucht vor der Realität. Eine differenzierte Auseinandersetzung über das Für und das Wider des Rauchen ist diesen Menschen nicht möglich. Dazu müssten sie zuerst zuzugeben lernen, dass es nicht die RaucherInnen sind, die sie primär bedrohen, dass ihre Angst woanders begründet ist. Dazu werden sie aber erst in der Lage sein, wenn sie gelernt haben, sich ihren Ängsten zu stellen, wenn sie eine Chance sehen, ihre realen Probleme, z.B. Probleme am Arbeitsplatz oder Beziehungsprobleme, zu lösen. Bis dahin werden sie fortfahren für all ihre Ängste die RaucherInnen verantwortlich zu machen.

Auch wenn solche AntiraucherInnen Hilfe und Kritik benötigen, muss doch zuerst klar dargestellt werden, was sie sich selbst und anderen antun. Denn häufig ist das zwanghafte Antirauchen nur ein Teilaspekt der autoritären Selbstdisziplinierung des Zwangscharakters und geht außerdem mit anderen Selbstbestrafungen, mit zersetzender Diät und weiteren disziplinatorischen Einschränkung der eigenen Person einher. Oft werden auch LebenspartnerInnen und Andere in die autoritäre Disziplinierung und Gängelung mit einbezogen, bis hin zur Zerstörung von Beziehungen. Besonders betroffen sind hier leider auch die Kinder, und alle Menschen, die abhängig sind von solchen autoritären Charakteren, z.B. ihrem Chef.

Noch einmal; dieser Text bestreitet nicht, dass bewusstseinsverändernde Stoffe und Mittel auch Gefahren beinhalten. Das eigentliche Problem liegt aber nicht bei diesen Stoffen und Mitteln, sondern in ihrer Tabuisierung und der daraus resultierende Unfähigkeit mit ihnen sinnvoll umzugehen.

Nicht der Tabakgenuss ist das Problem, sondern die Art und Weise in der er uns heute aufgezwungen wird. Dies hängt aber auf der einen Seite mit der Tabuisierung des Rauchens durch die AntiraucherInnen zusammen, und ist auf der anderen Seite auf eine raucherInnenfeindliche nur auf den eigenen Profit bedachte Politik der Tabakkonzerne zurückzuführen. Zusammen werden so alle Weiterentwicklungen des Tabakgenusses verhindert. Und die RaucherInnen werden auf eine nicht besonders sinnvolle Form des Tabakkonsums in Form der nach dem besonders gesundheitsschädlich "American Blend"-Verfahren produzierten Zigarette festgelegt. Ein Verfahren das Anfang des Jahrhunderts von der us-amerikanischen Tabakindustrie entwickelt und monopolistisch auf dem Weltmarkt durchgesetzt wurde. Die Zigaretten sind aufgrund ihres nicht alkalischen Rauches besonders schädlich.

RaucherInnen müssen sich die Selbstbestimmung über den Tabak erkämpfen, um die Freiheit der Wahl zu haben - und sich nicht weiter kaputt machen zu lassen.


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04 - Statistische Wahrheiten - oder wie das Rauchen zur wichtigsten Ursache von Krebs stilisiert wird


Die Behauptung, dass 'Statistiken lügen', gilt heute ähnlich wie der Satz, dass 'Politiker korrupt sind' als Allgemeinplatz. Trotzdem gehen die meisten Menschen immer noch wählen und glauben den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Tatsächlich lügen Statistiken auch nicht, vielmehr produzieren sie Wahrheit. Eine Wahrheit, die an den Interessen der AuftraggeberInnen ausgerichtet ist. Sie tun dies indem sie selektiv nur spezifische Faktoren als relevant untersuchen, andere bei Seite lassen und bestimmte Faktoren, aufgrund der Unmöglichkeit sie zuzuordnen, ganz vernachlässigen.

Die meisten Krankheiten werden z.B. von einer Vielzahl von Faktoren ausgelöst. So kommt es zum Herzinfarkt durch Stress, falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, zuviel Kaffee, Rauchen und viele andere Faktoren. Untersucht werden von all diesen Faktoren je nach Interesse der AuftraggeberInnen nur einzelne aber nie alle. Dies würde auch jede statistische Untersuchung überfordern. Die Untersuchung wird also bewusst aufgrund eines bestimmten politischen Interesses finanziert und entsprechend richtungsgebunden angelegt. So besteht staatlicherseits ein Interesse die Verantwortung für Krankheiten zu individualisieren und vom Politikversagen im Bereich des Umweltschutzes und der Lebensmittelproduktion abzulenken. Gefördert wird durch den Staat also besonders die Erforschung solcher Faktoren, wie Rauchen oder zu fettiges Essen, die im individuellen Verhalten der Einzelnen ihre Ursache haben, während die Erforschung von Ursachen wie Armut oder Umweltverschmutzung, die auf eine verfehlte staatliche Politik zurückzuführen sind, nur mangelhaft finanziert wird.

Darüber hinaus, ergibt sich sehr schnell das Problem, das bestimmte Einflüsse, wie Stress statistisch nur schwer erfassbar sind. Denn in welcher Maßeinheit soll man Stress messen? Und wie ließe sich objektiv feststellen, wieviel Stress eine HerzinfarktpatientIn ausgesetzt war? Auch bei der Ernährung, insbesondere bei Nahrungsmittelzusätzen, ist dies nicht einfach, denn wie sollte hier erhoben werden, was eine PatientIn im Laufe ihres Lebens so gegessen hat. Ergebnisse aus Tierversuchen lassen sich bekanntlich nicht einfach auf Menschen übertragen. Noch schwieriger wird es, wenn die individuellen körperlichen Eigenheiten berücksichtigt werden sollen oder psychische Zustände. Dies ist mit den Methoden der statistischen Wissenschaft ausgeschlossen. Die statistische Methodik führt so dazu einzelne Faktoren, wie zum Beispiel das Rauchen, die einfach den einzelnen Menschen zuzuordnen sind und deren Erforschung im Interesse bestimmter Geldgeber liegt, überzubewerten. Und Einflüsse, die, wie z.B. Stress, sich nur schwer erfassen lassen oder deren Erforschung nicht im Interesse der politischen und industriellen Finanziers liegt, unzulässig zu vernachlässigen. Alle Einflüsse, die quantitativ nicht erfassbar oder nicht zuzuordnen sind oder einfach nicht erfasst wurden, werden nicht berücksichtigt.

Außerdem werden komplizierte Zusammenhänge meist grob vereinfacht. Würde z.B. eine bestimmte Form des Herzinfarkt nur ausgelöst, wenn eine spezifische Form von Stress mit der längeren Aufnahme bestimmter Nahrungsmittelzusätze und einem hohen Kaffeekonsum zusammenkommt, würde dies statistisch sicher nicht erfasst. Allein schon deshalb weil im Regelfall die Menschen nicht einmal selbst wissen, was so alles in den Lebensmitteln drin war, die sie die letzten zwei Jahrzehnte gegessen haben. Die Mehrzahl der Ursachen aus der Gesamtheit des Ursachenbündels, das eine Krankheit verursacht, werden so von der statistischen Wissenschaft unter den Teppich gekehrt.

Dies soll im folgenden an drei Beispielen noch einmal genauer ausgeführt werden; den Auswirkungen radioaktiver Verschmutzung, der Gentechnologie und dem Rauchen.

Radioaktive Belastung kommt auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen zustande. Die meisten Menschen erhalten über ihr gesamtes Leben eine radioaktive Belastung aus vielen Quellen ohne dies zu wissen. Die radioaktive Belastung entsteht durch das Atombombenfallout, durch die radioaktive Verschmutzung durch Tschernobyl, durch radioaktiven Abraum aus Bergwerken, durch die Atomindustrie, durch die Radonbelastung beim Duschen mit Tiefengrundwässern, durch die medizinische Praxis, insbesondere das Röntgen, durch die Verwendung radioaktiver Baumaterialien, durch Höhenstrahlung bei Transatlantikflügen und andere Strahlungsquellen. Dadurch kommt es zu einer nicht mehr im Detail zuordnenbaren Querschnittsbelastung der Bevölkerung, der ein breit gestreutes Auftreten von Krebs gegenüber steht. Eine statistische Zuordnung ist faktisch unmöglich.
D.h. es ist nicht möglich einer KrebspatientIn eine spezifische radioaktive Belastung, soweit sie ein bestimmtes Grundrauschen all der genannten Quellen nicht wesentlich überschreitet, also nicht wesentlich über der durchschnittlichen 'normalen' radioaktiven Belastung in modernen Industriegesellschaften liegt, überhaupt zuzuordnen. Es ist kaum möglich festzustellen, welche Baumaterialien in den Wohnungen und Arbeitsstätten der an Krebs Erkrankten verwendet wurden. Die wenigsten wissen, ob sie zur Zeit von Tschernobyl gerade Pilze gegessen haben oder im Regen spazierengegangen sind. Es ist unmöglich auszuschließen, dass es in ihrem Lebensumfeld, z.B. auf einem Ausflug an die Elbe, zu radioaktiven Belastungen durch einen 'Auslegungsstörfall' in einem Kernkraftwerk gekommen ist. D. h. es ist gar nicht feststellbar, welcher radioaktiven Belastung diese Menschen ausgesetzt waren. Dadurch ist eine Zuordnung von Krebs zu einer dieser Belastungsquellen als verursachender mit statistischen Methoden praktisch unmöglich, denn dazu müssten die Quellen isoliert und den Erkrankten zugeordnet werden können.

Da Krebs multikausal verursacht wird, also durch verschiedene Ursachen die parallel auftreten, durch Rauchen, durch Chemie, aber eben auch durch die alltägliche radioaktive Belastung, wird die radioaktive Alltagsbelastung auf diese Weise bei jeder statistischen Untersuchung auf unzulässige Weise vernachlässigt. Da es aufgrund der Unwissenheit über die Dosis unmöglich ist sie statistisch zu erfassen. Statistisch ist damit nicht feststellbar, ob der Krebs z.B. auch durch niedrige Dosen von Radioaktivität, die über einen langen Zeitraum gewirkt haben, verursacht wurde oder nicht. Denn um statistisch eine Aussage darüber zu treffen, müsste diese Belastung überhaupt erst einmal bekannt sein, und es wäre eine Vergleichsgruppe in der Bevölkerung nötig, von der mit Sicherheit bekannt sein müsste, dass sie nicht von Radioaktivität betroffen ist und die ansonsten aber unter identischen Lebensumständen gelebt hat. Die gibt es aber auch nicht.

Selbst wenn jährlich der Tod von Zehntausenden Menschen an Krebs durch niedrige aber alltäglich wirkende radioaktive Strahlung in ihrer Umgebung mit verursacht würde, würde dies statistisch in diesem Grundrauschen vielfältiger sich überlappender Belastungsquellen untergehen.
Wenn WissenschaftlerInnen heute feststellen, dass eine Gefährdung durch die 'geringe' aber alltägliche radioaktive Belastung unserer Lebenswelt nicht festgestellt werden kann, ist dies deshalb korrekt. Umgekehrt gilt aber auch, dass eine Gefährdung in sehr großen Größenordnungen auch nicht ausgeschlossen werden kann. Wo sollte auch für eine statistische Erfassung die notwendige unbelastet lebende Vergleichsgruppe mit ansonsten annähernd gleichen Lebensbedingungen herkommen? Dies ist halt nur bei Faktoren die lokal begrenzt sind, oder wie das Rauchen auf individuellen Entscheidungen basieren, möglich.

Die statistische Wissenschaft an sich führt so im Interesse der Industrie und Politik zur Verharmlosung all der Faktoren, die aus der allgemeinen Umweltverschmutzung, der industriellen Lebensmittelproduktion, der Umsetzung gesellschaftlicher Hygienestandards (Haushaltschemie), der allgemeinen Verwendung karzinogener Substanzen bei Hausbau und Renovierung, u.a. herrühren. Faktoren wie das Rauchen werden hingegen notwendigerweise strukturell weit überbewertet. Und viele TabakgegnerInnen arbeiten der Industrie und Politik bei dieser Verharmlosung von Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken auch noch zu.

Aber kommen wir zum Rauchen. Allgemein wird der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs als gesichert hingenommen, bei Frauen insbesondere im Zusammenhang mit Brustkrebs. Nun tritt aber in China das Phänomen auf, dass dort, bei gleichem Rauchverhalten, wesentlich geringere Brustkrebsraten auftreten. Und ähnliches ist, wenn auch nicht so ausgeprägt, bei Lungenkrebs zu beobachten. Dies bedeutet aber, dass es nicht das Rauchen alleine ist, welches den Krebs auslöst. Dies scheint erst einmal trivial. Nur wenn andere Faktoren bewirken, dass Rauchen gar nicht diese Auswirkung hat, kann dann überhaupt davon gesprochen werden, dass Rauchen die Ursache des Krebs ist?

Für die europäische und die us-amerikanische DurchschnittsbürgerIn gilt, dass sich mit Rauchen ihr Krebsrisiko erhöht. Das Konstrukt der DurchschnittsbürgerIn ist dabei aber eine rein mathematische Fiktion, real gilt wohl für alle recht unterschiedlichen Menschen je etwas anderes. Wenn nun das Krebsrisiko, wie dargestellt, nicht auf das Rauchen alleine zurückzuführen ist, ist es eine politische und interessengeleitete Entscheidung welche Faktoren in einer multikausalen Kette als relevant hervorgehoben werden, und welche als feststehende Größen vorausgesetzt werden.
Wenn ein Staudamm überläuft, war er vielleicht zu niedrig, oder es hat zu stark geregnet, oder es wurden zu viele Flüsse begradigt, oder zu viele Wälder abgeholzt, oder zuviel Böden versiegelt, oder es wurde nicht rechtzeitig genug Wasser abgelassen, oder .. .

Welche Faktoren bezüglich Krebs als natürlich und fest angesehen werden, z.B. europäische Lebensmittel mit vielfältigen gesundheitsgefährdenden Zusatzstoffen, niedrigenergetische Strahlung, Luftverschmutzung, Arbeitsbelastung usw., hängt von der Interessenlage ab, die sich in der Forschung widerspiegelt, und von der Art der Faktoren selbst. Denn nicht alle Einflüsse sind, wie auch in den anderen Beispielen ausgeführt, messtechnisch einfach erfassbar. So lässt sich relativ einfach erheben ob KrebspatientInnen geraucht haben, zu erheben welche Lebensmittelzusatzstoffe sie in welchen Mengen zu sich genommen haben, ist aber auch statistisch, wie schon dargestellt, faktisch unmöglich. Auch bei der niedrigen alltäglichen radioaktiven Strahlung, wie ausgeführt, und einer Reihe weiterer Einflüsse gilt ebenfalls, dass sie statistisch nicht erfassbar sind. Diese fallen als Ursachen bei der wissenschaftlichen Auswertung deshalb einfach unter den Tisch. Würde z.B. Krebs wesentlich durch geringe Dosierungen bestimmter Lebensmittelzusätze über einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte ausgelöst, so würde dies nicht erfasst werden können.

Sagen lässt sich, dass Rauchen unter den normalerweise gegebenen Lebensbedingungen in Europa Krebs erheblich begünstigt. Das ist aber genauso, wie die Rede von den Dämmen die zu niedrig sind, wenn gleichzeitig über Ökologie, Industriewachstum, Tourismus u.a. geschwiegen wird.

Wichtig ist es, hier auch noch kurz auf die aktuellen und sehr viel gefährlicheren Auswirkungen der statistischen Beweisführung im Zusammenhang mit der Genetik einzugehen. Hier zeigt sich eine Parallele zur Antirauchideologie. Schaut man sich die Funktionsweise statistischer Beweisführungen im obigen Sinn kritisch an, lässt sich der Umbau der medizinischen Diagnostik hin zur genetischen Diagnostik zum Teil als Antwort auf die Zerstörung der Lebensbedingungen der Menschen betrachten. D.h. der Ausbau dieser Diagnostik dient nicht zuletzt der Rückführung von Krankheiten aller Art auf genetische Ursachen, um auf diese Weise die tatsächliche Verantwortung der Industrie und der Folgen ihrer Produktionsweise auszublenden. Die genetische Zuweisung und eugenische Selektion ist insofern die logische Fortsetzung der Antirauchpolitik. Das 'Wissen' der Genetik basiert fast ausschließlich auf langwierigen Folgerungsketten auf statistischer Basis. Sogenannte 'genetische Dispositionen' werden aus der Analyse statistischen Materials konstruiert. Auch für die 'genetischen Dispositionen' gilt, dass sie ähnlich gut statistisch zu handhabende Faktoren sind wie das Rauchen, ihr Auftreten oder Nichtauftreten ist Personengruppen eindeutig zuzuordnen. Wenn die Wissenschaft in Zukunft alle möglichen Erkrankungen auf 'genetische Dispositionen' zurückführen wird, wird dies eben an dieser statistischen Eigenschaft genetischer Faktoren und ihrer daraus resultierenden Überbewertung liegen. Während alle anderen Einflüsse, die statistisch nur schlecht zu erfassen sind, eben außer Sicht geraten. Die Folgekosten der Auslagerung von Produktionskosten auf die Umwelt, z.B. durch steigenden Güterverkehr, Luftverschmutzung und weitere Zerstörung der Ozonschicht, mit den medizinischen Folgekosten werden so individualisiert. Industrie und AktionärInnen werden sie nicht bezahlen müssen, im Gegenteil; mit der genetischen Medizin lassen sich zusätzliche Gewinne verbuchen. Allergische Erkrankungen der Atemwege werden dann zunehmend auf das Rauchen und eben 'genetische Dispositionen' zurückgeführt werden. Der industrielle Dreck, der in die Luft geblasen wird, wird nicht mehr thematisiert.

Der Umgang mit Statistik in den Naturwissenschaften und der Medizin ist im hohen Maße wissenschaftlich unseriös. Wenn heute moniert wird, dass durch die Privatisierung von Forschung und Hochschulwesen Wissenschaft immer mehr käuflich wird, lässt sich hier nur feststellen, dass dies für weite Kreise von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen schon lange zur Normalität gehört. Wes Hafer ich freß des Lied ich sing. Statistische Verfahren gehen immer von Setzungen aus, nämlich der Vernachlässigung all der Dinge, die nicht untersucht werden, beziehungsweise aufgrund struktureller Probleme als Ursachen gar nicht erfasst werden können. Das tendenziöse Schweigen in dieser Richtung ist ein Versagen, das aber längst zum Alltag durchschnittlicher MedizinerInnen und NaturwissenschaftlerInnen gehört.

Wenn das einzige was datenmäßig erfasst wird die Dammhöhe ist, dann ist zwangsläufig ein zu niedriger Damm die Ursache der Überflutung. Eine solche Engführung der Wissenschaften, wie sie in den Antirauchpamphleten und in der Genetik stattfindet, ist MittäterInnenschaft.

Für statistische Untersuchungen gilt aber noch ein sehr viel grundlegenderes Problem. Statistik kann wissenschaftlich seriös nur Aussagen über eine größere Menge von Menschen treffen, über den Einzelfall sagt die Statistik gar nichts. Den europäischen Durchschnittsmenschen gibt es jedoch nicht, er ist eine reine mathematische Fiktion der statistischen Wissenschaft. Menschen sind alle unterschiedlich, aus diesem Grund ist es mathematisch falsch ein statistisch erhobenes Gesundheitsrisiko für eine Menge von Menschen auf den Einzelfall zu übertragen. Die Rede davon, dass ein Krebsrisiko für eine RaucherIn so und so hoch sei ist reine Scharlatanerie, die mathematisch statistische Wissenschaft schließt eine solche Schlussfolgerungskette auf den Einzelfall aus. Dies soll im folgenden kurz an einem mathematischen Beispiel erläutert werden.

Gegeben seien sechs Würfel: Ein Würfel nur mit Einsen, ein Würfel nur mit Zweien, ein Würfel nur mit Dreien, ein Würfel nur mit Vieren, ein Würfel nur mit Fünfen, ein Würfel nur mit Sechsen. Statistisch wird beim Würfeln mit allen sechs Würfeln jede Zahl gleichhäufig erscheinen, daraus zu schließen, dies würde auch für die einzelnen Würfel gelten ist aber offensichtlich falsch. Nur bei sechs gleichen Würfel ist ein Schluss von der Statistik auf den Einzelfall zulässig. Menschen sind aber nicht gleich. Das heißt das statistische Krebsrisiko bezogen auf den Faktor X sagt absolut nichts über ein individuelles Krebsrisiko aus, auch wenn der Faktor X im Einzelfall vorkommt, ist der Einzelfall doch ansonsten unterschiedlich zu allen anderen Menschen mit demselben Faktor.

Eine Krebserkrnakung primär auf das Rauchen und genetische Ursachen abzuschieben ist eine grobe Verharmlosung der vielfältigen und alltäglichen Umweltvergiftung durch Industrie und industrialisierte Landwirtschaft, und auch eine Verharmlosung der niedrigen Qualität industriell oder gar gentechnisch hergestellter Nahrungsmittel. Letztendlich geht es hier um die Auslagerung von Produktionskosten. Denn als Kosten für die Industrie würden erhöhte Umweltauflagen zu Buche schlagen, wenn die durch die Industrie verursachten Belastungen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen ernsthaft berücksichtigt würden. Die Bevölkerung bezahlt mit immer höheren Krankheitsraten, mit mehr Krebs, mit Atemwegserkrankungen und Allergien die Sparmaßnahmen der Konzerne im Umweltbereich und die Milliardengewinne der Atomindustrie. Ihre steigenden Aktienkurse bezahlen die Menschen mit ihrer Gesundheit. Die RaucherInnen und die Zigarettenindustrie sind hier ein willkommener Sündenbock um von den tatsächlichen Zusammenhängen abzulenken.

Das sich WissenschaftlerInnen hier im Rahmen der Antirauchkampagnen instrumentalisieren lassen hängt wesentliche von den finanziellen Abhängigkeiten ihrer Forschung ab. Andere Forschung wird halt nicht finanziert. Und im Vergleich zu den hier zu Buche schlagenden industriellen und politischen Interessen ist auch die Zigarettenindustrie machtlos. Außerdem arbeiten auch Tabakkonzerne nach kurzfristigen Gewinninteressen. Die Interessen der RaucherInnen oder gar die Interessen einer freien Gesellschaft werden von der Tabakindustrie nicht vertreten. Genauer wird dies aber noch im Abschnitt Die Ignoranz der Tabakkonzerne ausgeführt.

Vollständig absurd wird dann das, was die Presse aus diesen Aussagen macht, wenn die JournalistInnen durch die Statistiken nicht mehr durchsteigen und sich zu Aussagen wie, "100.000 Menschen in Deutschland sterben weil sie rauchen", hinreißen lassen, als würden NichtraucherInnen nicht sterben. In Hannover titelte die Boulevardpresse sogar: "40% aller Raucher sterben". Da wäre dann ja wohl den Menschen zu empfehlen, mit dem Rauchen zu beginnen, vielleicht gehören sie dann ja zu den anderen 60%.

Noch einmal, es geht nicht darum zu bestreiten, dass RaucherInnen in Europa und den USA im statistischen Mittel früher sterben. Aber die Statistik ist nicht auf den Einzelfall übertragbar. Unter besonderen Umständen mag sich dies sogar umdrehen. So gibt es Hinweise das Rauchen unter bestimmten Umständen sogar der Gesundheit zuträglich sein kann. Der Tabak wurde in früheren Jahrhunderten auch in Europa als Heilkraut verwendet. Vielleicht entspannt das Rauchen eine RaucherIn und sie vermeidet deshalb z.B. eine Auseinandersetzung, die vielleicht zu Handgreiflichkeiten und massiven Verletzungen geführt hätte. Oder es macht ihr einfach Spaß. Oder es hilft ihr beim Träumen. Oder ...

Ähnliches lässt sich vom Anschnallen im Auto sagen. In den meisten Fällen wird das Anschnallen die Menschen vor schwereren Verletzungen bewahren. Es gibt aber auch Ausnahmeunfälle, in denen gerade aufgrund des Anschnallens die Insassen zu Tode kommen und unangeschnallt überlebt hätten, z.B. bei Autobränden. Aus diesen Grund sieht dieser Text auch in der Anschnallpflicht einen Verstoß gegen das Grundgesetz, da sie im Einzelfall durchaus den Zwang zur Selbsttötung bedeuten kann. Statistisch rettet sie zweifelsohne Leben. Nur muss die Sorge um die eigene körperliche Unversehrtheit allen Menschen selbst überlassen bleiben. BürgerInnen gehören nicht ihrem Staat. Es ist einzig und allein ihre Sache, welchen Risiken sie sich selbst aussetzen.

Am ältesten wurden im Jahr 2000 in Europa griechische LandbewohnerInnen (vor der Wirtschaftskrise). Nur sollten alle selbst entscheiden dürfen, ob das regelmäßige und recht eintönige Leben einer griechischen OlivenbäuerIn ihren Lebensvorstellungen entspricht. Viele werden vermutlich ein kürzeres und interessanteres Leben bevorzugen.

In den letzten Jahrzehnten wird nun zunehmend mit der Gefährdung für sogenannte PassivraucherInnen gegen das Rauchen argumentiert. Auch diese Gefahr für Menschen, die in sich in verrauchten Räumen aufhalten, ist nur begrenzt genau zu bestimmen. Das gewisse Einschränkungen der Gesundheit für in diesem Sinn mitrauchende Menschen gegeben sind, soll dabei nicht bestritten werden. Grundsätzlich werden Menschen aber durch vielfältige Aktivitäten ihrer Mitmenschen Gefahren ausgesetzt. Als wichtigstes Beispiel und zweifelsohne weitaus relevanter als das Rauchen ist hier z.B. der Autoverkehr zu nennen. Aber auch die meisten anderen unserer Lebensaktivitäten bergen ein gewisses Gefahrenpotential für andere Personen, z.B. kann ein Mensch beim Kochen einen Brand auslösen, oder wenn sie oder er in der Öffentlichkeit niest andere Menschen anstecken, oder andere Menschen durch Lärmbelästigung schädigen, oder - hier ließe sich noch vieles ergänzen. Um wirklich konsistent zu argumentieren müssten an sich die gesamten Folgen menschlichen Handelns und Konsums berücksichtigt werden und nicht nur die direkten Folgen. Also wäre zu berücksichtigen, wieviel Rohstoffe und Platz ein Mensch durch den für sich beanspruchten Wohnraum verbraucht und anderen damit vorenthält, welche Folgeschäden, z.B. in ärmeren Ländern, der Fleischkonsum hat aufgrund der Fütterung von Mastschweinen mit Importsoja und vieles andere mehr. Was Menschen auch immer tun, in einer Welt mit begrenzten Ressourcen kann nicht nur Luft, sondern auch alles andere nicht in beliebigen Mengen verbraucht werden. Die Menschen sind darauf verwiesen hier in gegenseitiger Rücksichtnahme zu einer Einigung zu kommen.

Letztendlich setzt dies eine ehrliche Bestandsaufnahme des persönlichen gesamten Ressourcenverbrauchs voraus, und der gesamten Belastung, der ein Mensch andere aussetzt. Um dann zu einer Einigung zu kommen, bei der allen in etwa gleiche Rechte zukommen, aber ohne Gleichmacherei. D.h., dass vielleicht eine lieber eine große Wohnung hat und zweimal im Jahr in den Urlaub fliegt, und ein anderer lieber raucht und Auto fährt. Das würde sich dann vielleicht ausgleichen. Natürlich ist eine solche Abwägung nicht eindeutig in Zahlen zu fassen, es bedarf hier vielmehr einer Einigung in der Diskussion.

Wenn heute aber bestimmte Belastungen besonders hervorgehoben werden, wie das Rauchen, und andere, wie der Autoverkehr, oder, große Wohnbereiche, verharmlost werden, dann hat dies sehr viel mit der unterschiedlichen Machtverteilung der gesellschaftlichen Gruppen zu tun, die diese Dinge nutzen und den sonstigen Interessengruppen. Zigaretten sind ein Konsumgut, das überwiegend von Menschen mit geringerem Einkommen genutzt wird. RaucherInnen verfügen auch aufgrund dessen, dass es sich bei ihnen eher um Menschen unter 35 handelt, nur über wenig politische und soziale Macht. Und Zigaretten werden weitestgehend importiert, sodass in Deutschland im Gegensatz zum Wirtschaftsfaktor Auto am Bereich der Tabakindustrie nur ein untergeordnetes Interesse besteht. Die Verschiebung der Probleme der Umweltbelastungen, die durch die europäische Lebensweise verursacht werden, auf das Rauchen, bietet für NichtraucherInnen eine bequeme Möglichkeit der Verdrängung, der eigenen Schuld. Es ist ziemlich albern, dass Menschen, die ein Flugzeug nutzen und damit massivste Schädigungen der Erdatmosphäre mit verursachen, sich über ein wenig Zigarettenqualm im gleichen Flugzeug aufregen. Das gleiche gilt für AutofahrerInnen, die sich über Qualm aufregen.

Auch hier haben wir wieder die Antirauchideologie und ihre blinden Flecke, ihre Verdrängungen, die Nichtberücksichtigung anderer Belastungen als des Passivrauchens, z.B. Belastungen durch Flugverkehr und Autoabgase, die auch von AntiraucherInnen verursacht werden.

Natürlich ist grundsätzlich die Aufrechnung von Leben in Umweltbelastungssummen, wie sie AntiraucherInnen standardmäßig betreiben, höchst fragwürdig. Bei konsequentem Nachvollzug dieser menschenverachtenden Art und Weise zu argumentieren über den gesamten Lebenszyklus von Menschen, würde aber für RaucherInnen sogar folgen, dass sie allein aufgrund ihrer statistisch kürzeren Lebenserwartung in der Regel mit einer wesentlich besseren Ökobilanz dastehen würden als NichtraucherInnen. Wie gesagt halte ich derartige Zahlenspielchen einer instrumentellen Vernunft aber insgesamt für untragbar. Die Lösung muss vielmehr in einer gemeinsamen Suche nach für alle befriedigenden oder zumindest tolerierbaren Lösungen bestehen, ohne alle über einen Kamm zu scheren. Es kann nicht darum gehen alle Menschen gleichzumachen.

Die Gegenargumentation von AntiraucherInnen, dass im Gegensatz zu RaucherInnen, die ihre Zigarette ja nun nicht wirklich brauchen würden, z.B. AutofahrerInnen aber ja nun ihr Auto brauchten, weist eher auf den Dogmatismus dieser Ideologie hin. Denn angesichts Abertausender allein in ihrem Auto in Großstädten mit Nahverkehrsnetz herumfahrenden AutofahrerInnen ist dies schon ziemlich aberwitzig. Es gibt ausreichend Untersuchungen, die belegen, dass ein Großteil aller Fahrten mit dem Auto auch anders zu bewältigen wäre. Das Auto ist ein Statussymbol und viele finden es angenehmer als öffentliche Verkehrsmittel. RaucherInnen behaupten im Regelfall nicht, das sie aus objektiven Gründen rauchen müssen. Sie sind also wesentlich weniger im Irrealen verfangen als diese autofreundlichen AntiraucherInnen. Suchtcharakter und Ich-Schwäche wäre dann wohl auch eher den Letztgenannten zu unterstellen.

Zwangscharaktere, wie die Antirauchfraktion, agieren so häufig nach dem St. Florians-Prinzip. Anstatt zuerst vor der eigenen Tür zu kehren und all die Dinge zu thematisieren mit denen sie die Umwelt belasten, vom Autofahren, über Stromverbrauch, Kleidung bis hin zu Urlaubsflügen, schieben sie alles auf RaucherInnen oder andere in ihren Augen 'minderwertige' Gruppen ab.

Zum Schluss dieses Abschnitts noch einmal eine Zusammenfassung der wesentlichen Argumente in Kurzform.

Rauchen lässt sich einfach einzelnen Menschen zuordnen und statistisch individuell erfassen. Diese besondere Qualität als statistisch gut zu beherrschender Faktor führt zur Überbewertung des Rauchens als Krankheitsauslöser. Die Schädlichkeit des Rauchens wird dadurch in wissenschaftlichen Untersuchungen im Vergleich zu anderen Risiken überbewertet. Damit bedienen WissenschaftlerInnen die einseitigen Interessen ihrer AuftraggeberInnen, denen an einer individuellen Schuldzuweisung an der Krankheit gelegen ist. Denn nur so lassen sich die Ursachen, die aus der Industrieproduktion und einer menschenfeindlichen Politik resultieren, vertuschen.

Menschen werden krank und sterben früher als nötig an der schleichenden Vergiftung ihrer Umwelt durch Chemie und die Niedrigstrahlung der Atomindustrie, durch Stress am Arbeitsplatz, schlechte Arbeitsbedingungen, Armut und schlechte Wohnverhältnisse. Dies alles sind aber statistisch kaum oder gar nicht zu erfassende Faktoren. Bei statistischen Untersuchungen fallen sie weitgehend unter den Tisch.

Im Zuge der Privatisierung der Krankheitskosten ist die RaucherInnenlüge ein willkommenes Mittel für individuelle Schuldzuweisungen. Schließlich will doch niemand, dass die Deutsche Industrie für die Folgekosten ihrer Produktionsweisen zur Kasse gebeten wird. Zumindest diese WissenschaftlerInnen wohl nicht. Sie machen sich durch diese Form unseriöser Statistikwissenschaft zu HandlangerInnen eines Systems, das individuell zuordnenbare Faktoren weit überbewertet, und allgemeine, aus den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen resultierende, Krankheitsursachen im statistischen Rauschen verschwinden lässt.

Alle Lebensäußerungen sind mit Belastungen anderer verbunden. Deshalb kann die Forderung aber nicht heißen, mit dem Leben aufzuhören. Es ist falsch totale Autofreiheit oder das Verbot von Urlaubsflügen oder fleischlose Ernährung zu fordern, notwendig ist ein sinnvoller Ausgleich unter Allen.


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05 - Die Kostenlüge


Grundsätzlich sind Kostennutzenrechnungen bezogen auf Krankheiten und ihre Behandlung menschenverachtend und ein Schritt hin zum Sozialrassismus, zur faschistischen Logik des werten und unwerten Lebens. Da die AntiraucherInnen nicht davor zurückschrecken solche Argumentationen, noch dazu mit falschen Zahlen, zu benutzen, ist es jedoch dessen ungeachtet notwendig sich auch hier auf diese Formen von Rechnungen einzulassen. Eine Logik die Glück und Lebensqualität in Geld für aufwiegbar hält, eine Logik wie sie also von der utilitaristischen Philosophie und modernen EugenikerInnen vertreten wird, ist gleichwohl in sich untragbar und dieser Abschnitt ist unter diesem Vorbehalt zu lesen. Der Zynismus, der hier zum tragen kommt, ist ein Zynismus der in der Struktur der Argumentationen instrumenteller Vernunft angelegt ist.

Eine der in neuerer Zeit beliebtesten Diffamierungen in dieser Art lebensverachtender Zahlenspiele gegenüber RaucherInnen ist die Behauptung, Rauchen würde enorme Folgekosten für die Sozialversicherungen, insbesondere für die Krankenkassen, nach sich ziehen. Das Argument ist dabei, dass eine erhebliche Zahl an Krebsfällen und andere Krankheiten durch das Rauchen verursacht würde und dass all diese Krankheiten die und die Kosten verursachen würden. Trotz der Fragwürdigkeit der Behauptung einer monokausalen Rückführung von Krebserkrankungen und anderer Erkrankungen auf das Rauchen, im vorhergehenden Abschnitt wurde ja ausführlich auf diesen Punkt eingegangen, soll hier dieser Teil der Argumentation, dass all diese Krankheiten durch das Rauchen verursacht würden, erst einmal so stehen gelassen werden. Die Argumentation hört sich dann erst einmal logisch an. Und ist bis dahin unter Vernachlässigung der oben genannten Einschränkungen auch nicht falsch. Nur die Schlussfolgerungen sind unsinnig.

Denn die Schlussfolgerung das Rauchen hätte hier besondere Kosten verursacht setzt ja voraus, dass für die erkrankten und verstorbenen RaucherInnen ansonsten in ihrem gesamten Leben geringere Behandlungskosten angefallen wären. Das ist aber gleichbedeutend mit der Behauptung, dass wenn diese Menschen nicht am Rauchen erkrankt wären, sie statt dessen auch nicht anderweitig erkrankt wären, und auch nie gestorben. Das ist nun offensichtlich falsch. Für einen realistischen Kostenvergleich ist es unsinnig auf die einzelne Krankheit abheben, sondern es müsste die Kostenbilanz der einzelnen RaucherIn im Vergleich zu NichtraucherInnen über das gesamte Leben betrachtet werden.

Nun sieht die Einnahmeseite für RaucherInnen ungünstig aus. Sie erkranken im Schnitt in einem jüngeren Alter, also während ihres Arbeitslebens, leichter als NichtraucherInnen und haben einen höheren Krankenstand. Vollständig Arbeitsunfähig werden aber auch sie meist erst nach der Verrentung, falls sie nicht vorher versterben.

Demgegenüber stehen RaucherInnen kostenseitig für die Krankenkassen aber besser da, als NichtraucherInnen. Denn RaucherInnen erkranken laut Statistik in einem jüngeren Alter ernsthaft und sterben aufgrund ihrer angegriffenen Gesundheit schneller. 70 bis 90 % aller Kosten der Krankenkassen treten aber im letzten Lebensjahr im Sterbeprozess auf. Und sterben tun nun mal alle Menschen, auch AntiraucherInnen nur statistisch halt in einem höheren Alter als RaucherInnen. Bei ihnen fallen also die gleichen beziehungsweise sogar höhere Kosten wie bei rauchenden Menschen an, eben nur später. Denn es gilt, um so länger der Sterbeprozess dauert, um so teurer wird dies. Bei RaucherInnen ist die Wahrscheinlichkeit jünger und schnell zu sterben, und dies wird wohl kaum eine AntiraucherIn bestreiten, aber erheblich höher als bei nichtrauchenden Menschen. Ihr Sterbeprozess ist also im statistischen Durchschnitt kürzer und billiger. Hinzukommt das vielfältige Ausgaben für typische und teure Alterserkrankungen wie Rheuma für RaucherInnen aufgrund der geringeren Lebenserwartung entfallen. Damit folgt eine Kostenersparnis für die Krankenkassen durch das Rauchen. Tatsächlich müssten die Krankenkassen also den RaucherInnen bei gerechter Rechenweise sogar eher einen Teil ihres Krankenkassenbeitrags erlassen. Übrigens kommen sogar einige etwas rationaler agierende Tabakkritiker zu demselben Ergebnis - http://www.raucherportal.de/kosten/kost6.htm -. Andere Studien bestätigen dies ebenfalls - https://www.forbes.com/sites/timworstall/2012/03/22/alcohol-obesity-and-smoking-do-not-cost-health-care-systems-money/ -.

Die Fälschung der Rechnungen zu Ungunsten der RaucherInnen ist wissenschaftlich unseriös. Denn eine Aussage über Krankheitsfolgekosten einer bestimmten Lebensweise, wie des Rauchgenusses, sagt ohne Zusatzinformationen nichts darüber aus, ob sich dies positiv oder negativ auf die gesamten durch einen einzelnen Menschen, die bzw. der z.B. raucht, verursachten Krankheitskosten auswirkt. Richtig ist das RaucherInnen bis zum ca. 65-ten Lebensjahr wesentlich teurer sind, bei den älteren Altersgruppen beginnen aber die Einspareffekte, durch den früheren Tod und damit 0 Kosten eines erheblichen Teils der RaucherInnen, letztendlich überholen so die Einspareffekte die Kosten.

Noch einmal für eine realistische Kostenrechnung müssen statistisch die Krankenkasseneinnahmen und -ausgaben einer durchschnittlichen RaucherIn über ihr gesamtes Leben mit den Krankenkasseneinnahmen und -ausgaben einer durchschnittlichen NichtraucherIn, wiederum über das gesamte Leben gerechnet, verglichen werden. Alles andere ist eine Milchmännchenrechnung oder die bewusste Fälschung der Wahrheit. Bereits hier gilt, dass den geringeren Einnahmen durch RaucherInnen auch geringere Ausgaben gegenüber stehen.

Wird darüber hinaus die Verringerung der Lebenserwartung bei RaucherInnen, trotz aller im vorherigen Abschnitt gemachten Einschränkungen ist diese eine statistische Realität, der Betrachtung zu Grunde gelegt und die Kostenrechnung auf die Sozialversicherungen insgesamt bezogen, tritt sogar ein deutlicher Einspareffekt durch RaucherInnen zu Tage. Denn die Berücksichtigung der Ausgaben der Rentenversicherungsträger ergibt einen sehr klaren Einspareffekt durch RaucherInnen. Nach den Angaben der Antirauchfraktionen und den von ihr angegebenen erhöhten Sterberaten für RaucherInnen gilt, dass es ohne Rauchen ca. 20 bis 30 % mehr RentnerInnen in dieser Gesellschaft gäbe. Ein solcher Zuwachs hätte das Rentenversicherungssystem aber längst zum Einsturz gebracht. Womit sollte das bezahlt werden? Gehe ich z.B. für eine durchschnittliche RaucherIn von einer um 5 Jahre verkürzten Lebenserwartung bei einer Rente von 1000,- Euro im Monat aus. So spart die Rentenversicherung allein an dieser einen RaucherIn 60.000,- Euro. Da RaucherInnen meist erst kurz nach Erreichen des Rentenalters versterben, trägt das Rauchen hingegen auf der Einnahmeseite der Rentenkassen nur zu geringfügigen Einbußen bei.

Die Gesamteinsparungen durch RaucherInnen in den Sozialkassen, Krankenkasse und Rentenversicherung zusammen gerechnet, sind so hoch, dass sie selbst bei sehr hohen Annahmen bzgl. der Einnahmeausfälle aufgrund Krankheit, Frühverrentung usw. bzgl. der gesamten Kostenrechnung, bezogen auf Einnahmen und Ausgaben der Sozialkassen, zu einem Einspareffekt durch RaucherInnen führen. Das heißt, würde konsequent der Kostenargumentation gefolgt, müssten allen RaucherInnen Teile ihrer Zahlungen in die Sozialversicherungskassen erlassen werden, oder alle, die nicht rauchen, müssten mit Strafzahlungen belegt werden. Nach der funktionalen Logik der AntiraucherInnen müsste Rauchen also staatlich gefördert werden. Dies verweist aber nur auf die ganze Unsinnigkeit dieser Art utilitaristischer Zahlenspielereien. Rauchen und Sucht machen nicht unbedingt glücklicher und sind gesundheitsschädlich. Aber dies kann kein Grund sein Rauchen zu stigmatisieren. Das Leben auf einen zweckrationalen Funktionsablauf zu reduzieren ist zutiefst menschenfeindlich und die Kostenargumentation der Antirauchlobby tut dies. Überflüssige Dinge wie das Rauchen machen einen wesentlichen Teil des Lebens aus, auch wenn sie das Leben verkürzen. Es gibt bereits viel zu wenig Überflüssiges in dieser Gesellschaft, die sich zunehmend ausschließlich an der optimalen Vernutzung der Menschen als Arbeitskraftressource orientiert.

Und natürlich gibt es um diese Zahlen Streit, so rechnen z.B. AntirauchanhängerInnen in den Wirtschaftswissenschaften verlorene Lebensjahre in Geld um, d.h. sie setzen einfach für jedes statistisch verlorene Jahr einen festen Geldbetrag als Schaden an, der der RaucherIn, also dem statistisch zu diesen Zeitpunkt bereits Verstorbenen, entsteht, und kommen damit auf horrende Kosten des Rauchens. Einige sehr komplexe Studien von WirtschaftswissenschaftlerInnen, die versuchen auch absolut alle volkswirtschaftlichen Folgekosten des Rauchens zu erfassen, kommen auf eine etwa ausgeglichene Kostenbilanz. Das Problem bei solchen Rechnungen ist außerdem, dass sie sehr stark von der gesamten Lebensweise der Menschen abhängen, die sich im Laufe weniger Jahrzehnte stark verändern kann.

Es gilt diese Art zynischer mathematischer Zahlenschieberei grundsätzlich abzulehnen. Menschenleben, Lust und Genuss lassen sich nicht in Zahlen fassen. Derartige Rechnungen gehen immer an der Lebensrealität vorbei. Nicht ich habe sie hier eingeführt, sondern ich reagiere nur auf die menschenverachtende Rechenschiebermentalität der AntiraucherInnen. Mit der gleichen lebensfeindlichen Logik wird heute die vorgeburtliche Diagnostik gefördert. Und nach der gleichen Logik wird behindertes Leben als lebensunwert erklärt und abgetrieben.

Es steht zu befürchten, dass der Versuch der Antirauchlobby, die Kosten spezifischer Erkrankungen auf RaucherInnen abzuwälzen und zu individualisieren, nur ein erster Schritt zur Zerstörung des Sozialversicherungssystems ist. Demnächst wird dieser Versuchsballon wohl seine Ergänzung in der Berücksichtigung sogenannter genetischer Dispositionen finden. Die AntiraucherInnen betreiben auch in diesem Punkt, vielleicht gar nicht mal wissentlich, aber dafür um so effektiver, das Geschäft des Medizinisch-Industriellen-Komplexes, der Asozialisierung der Kranken- und Sozialversicherung. Denn die Medizinindustrie plant weitere Steigerungen ihrer Verkaufszahlen und eine Ausweitung ihres Profits. Dies bedeutet allerdings auch eine weitere Steigerung der Krankenausgaben. Die ist aber nur noch bei privater Finanzierung durchsetzbar. Die Zerschlagung der solidarischen Krankenversicherung ist also die Voraussetzung für die Profitmaximierung des Medizinisch-Industriellen-Komplexes, für die Steigerung des Absatzes von Pharma- und Gesundheitsindustrie und für die Steigerung der Profite der privaten Versicherungswirtschaft.

Dazu wird heute versucht jede Lebensäußerung in Schablonen der Versicherungskonzerne zu pressen. Das Rauchen als sehr sinnliche Form zweckfreier Verausgabung, dass sich, da es rein individuellen Entscheidungen unterliegt, in seinen Auswirkungen nur schwierig berechnen lässt, passt nicht in dieses Bild der Menschen als berechenbare Maschinen. Menschliches Leben lässt sich nicht in Quantitäten, wie schneller, höher, weiter, fitter fassen. Um menschliches Leben in all seinen Facetten zu begreifen, braucht es die Poesie des Augenblicks, das Verstehen eines Lachens, die Lust auf das Niederreißen von Grenzen. Das Leben ist nur qualitativ erfahrbar.

Die Entscheidung von Menschen für ein ungesundes Leben, für Disfunktionalitäten, statt für ein langes nicht enden wollendes Leben der Normierungen, Disziplinierungen und Unterordnung unter die Zwänge eines funktionalistischen Menschenbildes ist zu akzeptieren. Dabei ist es egal, ob sie sich mit Janis Joplin - "Lebe schnell, stirb früh" - lieber für ein intensives aber kurzes Leben mit hohen Risiken entscheiden, oder dem Faultier folgend, lieber ausschlafen als Joggen.


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06 - Die Antirauchlobby, die Politik und der Medizinisch-Industrielle-Komplex - Hintergründe und Interessenverpflechtungen


- Wieso vertritt ein allgemein gewählter Staat nur die Interessen eines Teils der Bevölkerung?
- Wieso geben staatliche Institutionen ausschließlich Broschüren gegen das Rauchen heraus?
- Wieso gibt es nicht eine Schrift, die auf der Basis der Vorzüge des Rauchens, AntiraucherInnen zu mehr Toleranz auffordert?
- Wieso gibt es keine Broschüren mit Informationen über das Für und Wider des Rauchens, die die Entscheidung offen lassen?
- Wieso werden schon kleine Kinder in der Schule gegen ihre rauchenden Eltern aufgehetzt? Eine Verfahrensweise, die sonst nur aus totalitären Systemen bekannt ist.
- Wieso vertreten Krankenkassen entgegen ihrer finanziellen Interessen, siehe Abschnitt Die Kostenlüge, ausschließlich die Interessen der AntiraucherInnen?

Um diese Fragen zu beantworten ist es wichtig, die Antirauchfraktion differenzierter zu untersuchen. Da gibt es den harten Kern der organisierten AntiraucherInnen mit ihrer Ausgrenzung Ungläubiger. Auf ihren religiösen Fundamentalismus kann nun aber nicht das gesamte gesellschaftliche, staatliche und institutionelle irrationale Handeln zurückgeführt werden. Für diese allgemeinen und die institutionellen Strukturen spielen offensichtlich andere Gründe eine Rolle. Es geht hier nicht um die große Antirauchweltverschwörung, so funktionieren diskriminierende Strukturen nicht. Es ist nicht so sehr ein zentral organisiertes Handeln, dass sich in diskriminierenden Handlungen ausdrückt, als vielmehr viele kleine Vorteilsnahmen, die häufig nicht einmal bewusst ausgeführt werden. Die Antirauchideologie ist dabei nur ein austauschbares Mittel um ganz andere Zwecke zu erreichen. Sie ist ein praktisches Hilfsmittel für viele kleine Karriereschritte und Ausweitungen von Macht.

Da kann ein Arzt mit Hinweis auf die 'Gefährlichkeit dieser Droge' neue medizinischen Untersuchungsmaßnahmen einfordern und zusätzliche Geldmittel für seine 'Studien'. Da kann die Industrie mit dem Hinweis auf diese 'gefährliche Droge' ihre Verantwortung für viele Krankheiten abschieben. Da können MedizinerInnen aber auch PolitikerInnen neue Posten in Gremien installieren. Da lässt sich die 'Gefahr des Rauchens' als Argument für die statistisch medizinische und genetische Erfassung großer Teile der Bevölkerung instrumentalisieren. Da können Beamte weitere Gesetze und Verordnungen, und damit die Ausweitung ihres Zugriffs und Machtbereichs, legitimieren. Da können Antirauchpäpste mit ihren Büchern Millionengewinne am Buchmarkt durch die Instrumentalisierung der Ängste ihrer LeserInnen abschöpfen. Da lassen sich mit der Antirauchideologie Umstrukturierungen der Krankenversicherungen gegen die Interessen der Versicherten argumentativ absichern.

Ähnliche Zusammenhänge struktureller Gewalt haben wir z. B. im Verhalten von Männern gegenüber Frauen. Praktisch jeder Mann weiß im Alltag seinen Körper geschickt zu seinem Vorteil als Druckinstrument gegen Frauen zu verwenden. Untersuchungen über Körpersprache und Gestik belegen dies vielfältig. Und doch würden die meisten Männer wahrheitsgemäß behaupten, dass ihnen diese bewusst zum eigenen Vorteil eingesetzte Körpersprache nicht bewusst ist. D.h. ein Mann weiß, dass bestimmte körperliche und andere Verhaltensweisen in bestimmten Situationen ihm gegenüber Frauen und zum Teil auch gegenüber Männern zum Vorteil gereichen, in diesem Sinn setzt er sie bewusst ein, er ist sich dabei aber nicht unbedingt bewusst, damit das Patriarchat, das Geschlechterverhältnis und seine Identität als Mann zu reproduzieren. In ganz ähnlicher Weise übernehmen Menschen die Antirauchideologie, nicht weil sie sie für richtig halten, sondern weil sie ihnen nützlich ist.

Um die Verbreitung der Antirauchideologie zu verstehen müssen die kleinlichen Konkurrenzen und egoistischen Vorteilsnahmen in politischen Gremien und den Entscheidungskommissionen des halbstaatlichen Medizinisch-Industriellen-Komplexes berücksichtigt werden. In solchen großen Apparaten werden Handlungen sehr stark von internen Überlegungen bestimmt, internen Strukturen, die häufig rationale Entscheidungen überlagern und in ihr Gegenteil verzerren. Auch die Entscheidungsabläufe bezüglich der Einschätzung des Tabaks werden in politischen und medizinisch-industriellen Gremien offensichtlich vielmehr bestimmt von Einzelinteressen und Macht als von sachlichen Rationalitäten. Die Antirauchpolitik wird so bestimmt von kleinlicher Vorteilsnahmen. Sie wird genutzt zur Durchsetzung der unterschiedlichsten Ziele.

Ähnlich wie die AusländerInnenpolitik ist sie auch ein Mittel für PolitikerInnen sich als Sauberfrau beziehungsweise Saubermann darzustellen. Und ähnlich wie moderne PolitikerInnen auch Sport treiben müssen - Clinton joggte z.B. öffentlichkeitswirksam, müssen moderne PolitikerInnen auch dem Gesundheitsfetisch die Referenz erweisen. Und so müssen sie ihr Rauchen zumindest problematisieren, und es wenn möglich zumindest in der Öffentlichkeit unterlassen. Da ist die Toleranz schon bald dafür größer, dass er in den Puff geht. Und eine rauchende Politikerin auf einem Wahlplakat ist vollends unvorstellbar.

Die Antirauchideologie liefert aber auch vielfältige kleine Legitimationen für die Drangsalierung von rauchenden Mitmenschen. Wer kennt nicht das vibrierende Vergnügen in der Stimme von Bekannten, die RaucherInnen auf den Balkon, ins Treppenhaus oder gar auf die Feuerleiter verbannen, ihre spitzen Bemerkungen mit denen sie es nötig haben sich sozialrassistisch gegenüber rauchenden KollegInnen aufzuwerten, natürlich nur solange diese nicht in der betrieblichen Hierarchie über ihnen stehen. Für Menschen mit autoritärem Charakter wird die Antirauchideologie zu einem willkommenen Mittel disziplinatorisch andere, in diesem Fall rauchende, Menschen zu drangsalieren. Sie ist deshalb beliebt bei Leuten mit Blockwartdenken und OrdnungsfetischistInnen.

All diese vielen kleinlichen Interessen müssen zusammen betrachtet und in Zusammenhang gestellt werden mit dem konkreten Eigeninteresse des Medizinisch-Industriellen-Komplexes nach Marktausweitung, um zu begreifen, welche Funktion das Reden über das Rauchen, über Suchtgefahren und Krebs haben. Nur so lässt sich begreifen, wie diese einseitige Darstellungen sich soweit verbreiten und fast zum Allgemeingut werden konnten.

Letztendlich erschließen sich hier auch ÄrztInnen neues PatientInnengut ohne Rücksicht auf die Integrität der Betroffenen. Denn dort wo über RaucherInnen geforscht wird, geschieht dies nicht um ihre Interessen zu wahren. Es geht nicht darum, z.B. den Genuss der Zigaretten zu erhöhen, ganz im Gegenteil die RaucherIn selbst wird zur Krankheit erklärt. Ihnen wird massiv Angst gemacht, bis sie sich selbst als Kranke, Suchtabhängige sehen. Damit sie sich am besten dagegen in Behandlung begeben. Hier wird die Angst der Menschen kapitalisiert und daraus Profit geschlagen. Dies wird leider zunehmend zu einem Grundmoment der modernen Medizin, denken wir z.B. auch an die genetische Diagnostik. Auch dort werden unter dem Begriff der genetischen Disposition bisher gesunde Menschen für krank und behandlungsbedürftig erklärt. So schaffen sich ÄrztInnen selbst neue Märkte für medizinische Produkte.

Im Medizinisch-Industriellen-Komplex besteht außerdem ein widersprüchliches Interesse an Krankheit und Langlebigkeit. Menschen, die möglichst lange möglichst krank sind oder sich zumindest so fühlen und bereit sind Geld für ihre Heilung auszugeben, sind die Voraussetzung für maximale Gewinne. Das Ziel aller ärztlichen Bemühungen ist deshalb eine Lebensverlängerung, unabhängig davon, was für ein Leben dies für die betroffenen PatientInnen bedeutet. Das Entscheidungsgewalt über ihr Leben wird den Behandelten genommen. RaucherInnen nehmen sich durch ihre Entscheidung für das Rauchen einen Teil dieser Entscheidungsgewalt zurück. Das ist der eigentliche Skandal, weswegen das Rauchen im Behandlungsprozess derartig stigmatisiert wird. Dabei glauben viele, der in diesem Bereich Beschäftigten zweifelsohne, sie würden nur im Interesse ihrer PatientInnen handeln. Sie haben sich lange genug eingeredet, dass ihre Interessen, automatisch auch die der PatientInnen seien. Gerade deshalb haben sie auch nicht viele Gewissensbisse, wenn sie diese für unmündig erklären, für unvernünftig und als Süchtige diffamieren. Gerade in der Diskussion über das Rauchen maßen sich zumindest einzelne MedizinerInnen an, zu bestimmen, was für ihre PatientInnen das Beste sei.

Gegenüber dem Medizinisch-Industriellen-Komplex, der erhebliche Teile unseres Bruttosozialproduktes verschlingt, sind die Tabakkonzerne wirtschaftlich unbedeutend. Das sich Antirauchgruppen in diesem Kontext als kleine Davids, die gegen den Goliath kämpfen, stilisieren weist auf ihre völlige Verkennung der Realitäten. Ein für sektiererische Gruppen typisches Gebaren.
Aber Konzern bleibt Konzern und das Glück der Menschen haben beide nicht im Sinn, weder die Tabak- noch die Gesundheitsindustrie. Es geht um Gewinn. Die Menschen müssen für die Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber diesen Interessen streiten. Deshalb spricht nichts gegen ausführliche Informationen über die Gefahren des Rauchens und über die Tabakkonzerne und die Produktionsbedingungen des Tabak, nur das gleiche gilt noch sehr viel mehr und sehr viel radikaler für den Medizinisch-Industriellen-Komplex und die Angebote der Medizin. Einem Moloch dem die Bevölkerung in Deutschland von Kindheit auf an in ganz anderer Weise ausgeliefert wird. Ein Zwang zum Rauchen noch dazu in der Vorschulzeit ist unvorstellbar, Zwangsuntersuchungen für Kinder werden hingegen einfach hingenommen. Die immer weitere Medizinalisierung des Lebens, die Selbstbedienungsmentalität dieses Industriekomplexes trifft auf kaum Widerstand. Im Gegenteil eine unkritische Öffentlichkeit fordert, ähnlich wie im Bereich der Ausdehnung polizeilicher Befugnisse, nach immer mehr. Die Angst vor Krankheit wird hier instrumentalisiert und Menschen, die sich wehren, müssen damit rechnen, als verrückt abgestempelt zu werden. Und in der Medizin geht es um mehr als in der Tabakindustrie, die es nur auf unsere Brieftasche abgesehen hat. Ihr geht es um den ganzen Menschen, die Totalerfassung. In der Medizin geht es um einen totalitären Zugriff auf alles menschliche Leben. Dem gilt es sich entgegenzustellen.

Die größten Gefahren für das Leben und die Freiheit gehen nicht so sehr vom Tabakkonsum aus, sondern vom Gesundheitsfetischismus. Denn die schlimmste Diktatur ist die Diktatur, der sich die Menschen selbst unterwerfen aus eingeredeter oder realer Angst. Viel wichtiger als Krankheiten zu heilen ist den Umgang mit Krankheit und Tod wieder zu lernen, um sich nicht selbst einem lebensfeindlichem Totalitarismus alltäglicher Selbst- und Fremdmedizinalisierung auszusetzen, um sich nicht selbst gleichzuschalten. Dazu ist gar kein Staat blauer Ameisen nötig, die auf der Angst aufbauende Selbstdisziplinierung und Selbstauslieferung an ein totales medizinisches System ist sehr viel wirksamer. Wie viele Leute sind ihr ganzes Leben nur noch damit beschäftigt für ihre Rente zu arbeiten oder ihre Krankenversicherung, ihren Light-und-Fit-Essensplan zusammenzustellen, und Sport zur Gesunderhaltung zu betreiben, ohne überhaupt noch zum Leben zu kommen.

Alle staatlichen und privatwirtschaftlichen Institutionen neigen dazu ihre Macht, ihren Zugriff auf die Menschen immer weiter auszudehnen. Dies gilt für den Überwachungsstaat, also die Polizei und die staatlichen politischen Verfolgungsbehörden, das gilt aber auch für medizinische Dienste, und die pharmazeutische Industrie. Die treibende Kraft sind dabei nicht irgendwelche Weltverschwörungen oder Geheimbünde sondern vielmehr die ganz alltäglichen individuellen egoistischen Handlungsmuster, die auch auf ÄrztInnen und PolizistInnen zutreffen. Alle versuchen sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzuschneiden. Und der Zugriff läuft heute über das Ansprechen der Ängste und Wünsche der Menschen, ihrer Instrumentalisierung zum Zweck der Kontrolle und Disziplinierung. Dem gilt es sich zur Wahrung der Freiheit und des Lebens entgegenzustellen.

Heute läuft Politik, zumindest primär, nicht mehr über obrigkeitsstaatliche Verbote, sondern über die Manipulation des Selbst, über das Eindringen immer weiterer Zwänge in das Subjekt, die es sich scheinbar freiwillig auferlegt. Die Erfahrungen von RaucherInnen mit einer Zunahme der Repression aber auch und insbesondere eigenen Zwängen und Disziplinierungsanstrengungen, dem eingeredeten schlechten Gewissen, ist in einem größeren Kontext der Zunahme disziplinatorischer Zugriffe auf das menschliche Leben im Allgemeinen zu sehen. Sie ist zu sehen im Kontext eines alltäglichen Anwachsens von Normierungszwängen in einer Gesellschaft in der repressive Gewalt zunehmend durch psychologisch ausdifferenzierte Strategien ersetzt wird.

Das Verbot des öffentlichen Tabakgenusses beziehungsweise seine heutige Stigmatisierung ist nicht zufällig über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Ziel obrigkeitsstaatlich dirigistischer Eingriffe gewesen. Denn wie kaum eine andere öffentliche Alltagshandlung symbolisiert das Rauchen im Kleinen, Alltäglichen, eine Abweichung, ein kleines unvernünftiges und aus der Sicht des Staates disfunktionales Stück Lebendigkeit. Rauchen und Rausch sind Teil der überflüssigen und damit der freiheitlichen Handlungspotentiale. Etwas das die Menschen erinnern könnte an Alternativen zu dieser Disziplinargesellschaft.

Dieses Stück Freiheit und andere Lebensmöglichkeiten gilt es zusammen mit RaucherInnen auszuweiten.


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07 - Die Ignoranz der Tabakkonzerne


Es ist reichlich absurd wenn in der Antirauchpropaganda immer wieder so getan wird, als würden die Tabakkonzerne die Interessen der RaucherInnen für die Freiheit des Rauchens vertreten. Das ist ähnlich absurd, wie es die Behauptung wäre, die Lebensmittelkonzerne wären Anwälte für die Interessen der VerbraucherInnen. Tatsächlich gibt es zwischen den KonsumentInnen, also den NutzerInnen eines Produktes, und der dieses Produkt herstellenden Industrie und den Handelsketten erhebliche Interessendifferenzen. Die Industrie und der Handel haben ein Interesse an einer möglichst hohen Gewinnspanne, der Verbilligung der Produktion und des Transports. Gerade im Lebens- und Genussmittelbereich steht aber z.B. das Interessen, eine lange Haltbarkeit und gute Lagerbarkeit der Produkte zu erreichen, als originäres Interesse der Konzerne, im Widerspruch zum Interesse der VerbraucherInnen an möglichst frischen und nicht durch überflüssige Zusatzstoffe belasteten Lebens- und Genussmitteln.

Lange Lagerung und weite Transportstrecken senken meist die Qualität. Noch schlimmer ist, dass die Zugabe von Zusatzstoffen um die Haltbarkeit der Produkte zu erhöhen oder um ihr Aussehen zu verbessern, und so die KäuferInnen zu täuschen, häufig direkte Gesundheitsschäden für die VerbraucherInnen zur Folge haben. Auch Zigaretten und Tabak werden in diesem Sinn verfälscht mit Zusatzstoffen, die Krebs und andere Krankheiten auslösen. Ähnlich wie Waschmitteln Parfumstoffe beigemengt werden, die dann als Allergene die Massenausbreitung allergischer Erkrankungen mit befördern, werden auch Tabake teilweise parfümiert.

Außerdem sind wesentliche Teile der Schädlichkeit des Tabaks nicht auf den Tabakkonsum an sich zurückzuführen, sondern auf den Konsum industriell produzierter Zigaretten. Pfeifen, Zigarillos, Zigaretten mit alkalischem Rauch und Zigarren sind wesentlich weniger gesundheitsschädlich, da sie nicht lungengängig geraucht werden. Für Kau- und Schnupftabak gilt dies natürlich erst recht. Hier ließen sich sicher auch noch weitere und modernen Lebensgewohnheiten angepasste Produkte vorstellen.

Das eigentliche Problem liegt in den Zigaretten, wie sie nach dem "American Blend"-Verfahren seit 1913 hergestellt werden. Der eigentlichen Industriezigarette, wie sie heute fast ausschließlich vertrieben wird. Gerade der geringe Nikotingehalt ist hier eins der Probleme, da er den Konsum anheizt - natürlich ganz im Interesse der Tabakkonzerne. Und diese Zigarette wird, da sie sehr viel leichter schmeckt, gewöhnlich auf Lunge geraucht, was zu einem wesentlichen Teil ihre Schädlichkeit ausmacht. Außerdem wird der Tabak hier mit schädlichen Zusatzstoffen versetzt, zum Beispiel Mitteln zur Feuchthaltung. Selbst ein radikaler Tabakgegner wie der Wissenschaftshistoriker Robert Proctor stellt fest, dass bis Anfang des 20ten Jahrhunderts eine signifikante Erhöhung der Lungenkrebsrate nicht feststellbar war. Hier einen Zusammenhang zu sehen mit den Veränderungen in der Zigarettenproduktion ist nahe liegend.

Die Tabakkonzerne sind großgeworden mit der Verbreitung dieser Zigarette und auch heute noch abhängig von ihrem Konsum. Sie haben dabei im Laufe der Geschichte rücksichtslos alternative Rauchwaren und lokale ProduzentInnen an die Wand gedrängt. Eine andere Kultur des Tabaks wird sich nur gegen sie durchsetzen lassen, mit ihnen ist das unmöglich, da es ihren Interessen zutiefst zuwiderlaufen würde die "American Blend"-Zigarette aus dem Markt zu nehmen. Die sogenannten Weiterentwicklungen der Zigaretten durch diese Konzerne sprechen hier Bände. Grundsätzlich wird eine Alternative zur "American Blend" gar nicht erst ernsthaft zugelassen, sondern ganz im Gegenteil tun die Konzerne durch gezielte Desinformation alles um ihre Marktmacht weiter auszubauen. Sie verhalten sich hier wie andere Konzerne aus der Lebens- und Genussmittelbranche auch, die mit ihren Light-Produkten zweifelsohne mehr gesundheitliche Schäden als Nutzen bewirken, aber daran hervorragend verdienen.

Nun gilt, dass den Menschen überlassen bleiben sollte, welche Produkte, welche Zigaretten, Zigarren und Tabake sie wie konsumieren wollen. Die informierte Selbstbestimmung setzt aber erst einmal eine differenzierte und klare Information voraus. Das heißt genauso wie bei anderen Lebens- und Genussmitteln sollte auch bei Tabakwaren eine differenzierte Ausschilderungspflicht bestehen. Alle Zusatz und Verarbeitungsstoffe, die in den Tabak eingebracht worden sind, sollten angegeben werden. Wünschenswert wäre, dass sowohl bei Lebens- wie bei Genussmitteln im allgemeinen insbesondere auf krebserregende und Allergie fördernde Stoffe hingewiesen würde. Die Tabakkonzerne würden dann aber erheblich in Schwierigkeiten kommen, da nach einschlägigen medizinischen Untersuchungen ein erheblicher Anteil der Gesundheitsschädigung durch den Tabakkonsum nicht auf den Tabak an sich, sondern auf die industrialisierte Darreichungsform, auf die Art seiner Verarbeitung und die Zusatzstoffe, zurückzuführen ist.

Die derzeitige Praxis einer undifferenzierten Ausschilderung "Rauchen gefährdet ihre Gesundheit" dient letztendlich damit den Interessen der Tabakindustrie, da sie die Verbreitung alternativer Tabake und von Alternativen zur Zigarette behindert. Denn durch diese Ausschilderung wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, es gäbe gar keinen erheblichen Unterschied zwischen ökologisch angebauten und schonend verarbeiteten Tabak und den Produkten der Großkonzerne. Der gesundheitliche Unterschied ist aber erheblich. Letztendlich führt der undifferenzierte Warnhinweis auf allen Tabakpackungen damit sogar zu Erhöhung der Gesundheitsbelastungen durch das Rauchen für RaucherInnen. Und zwar zu einer, die sie nicht frei bestimmen können. Und dies ist der eigentliche Skandal.

Für das Rauchen ergeben sich hier ähnliche Probleme, wie für den Genuss anderer Lebens- und Genussmittel. VerbraucherInnen haben häufig das Problem überhaupt unter den unterschiedlichen schlecht ausgezeichneten und bewusst vom Handel mit verwirrenden Namen versehenden Produkten nach ihren Kriterien eine Auswahl zu treffen. Versuche, sich eigenständig vernünftige Informationen aus der Vielfalt von Schriften zur richtigen oder falschen Ernährung herauszusuchen, scheitern nicht selten daran, dass es auf fast jede Frage drei sich widersprechende Antworten gibt, oder falls gerade eine Modewelle über das Land schwappt auch nur eine, der dann aber nach wenigen Monaten um so heftiger widersprochen wird. Im Bereich des Tabakgenusses fehlen Informationen sogar häufig vollständig bzw. entstammen der Werbung der Konzerne. Die Tabakkonzerne tragen hier gemeinsam mit der Antirauchlobby zur Desinformation der RaucherInnen bei. Demnächst muss wohl auch mit genetisch manipulierten Tabak auf dem Markt gerechnet werden.

Dazu kommt das schonend verarbeitete Lebens- und Genussmittel aus ökologischen Anbau häufig erheblich teurer sind. Und es damit auch eine Frage des Einkommens ist, wieviel Gesundheit sich jemand leisten kann.

Die US-Tabakkonzerne agieren leider auch ansonsten nicht unähnlich wie die Bananen- und Fastfoodmulties. Die Arbeitsbedingungen auf vielen Tabakplantagen sind menschenunwürdig und die Umweltvergiftung durch Pestizid und Herbizideinsatz teilweise erheblich. Auf politischer Ebene nutzen gerade die US-Konzerne ihren Einfluss um Marktöffnungen in anderen Staaten zu erzwingen und die lokale Tabakproduktion zu zerstören. Dies ist aber kein Problem, das auf den Tabak oder das Rauchen zurückzuführen ist, sondern auf das Gesellschaftssystem und die Art und Weise der industriellen Produktion. Eine Kritik und Veränderung müsste hier ansetzen. Und hier besteht ein kaum noch zu missachtender Handlungsbedarf. Insofern wäre außer fair gehandeltem Reis und fair gehandelter gentechnisch nichtmanipulierter Soja auch ökologisch angebauter und fair gehandelter Tabak wünschenswert.

Dies wird aber auch nicht leichter durchzusetzen sein als bei Reis, Soja oder Kaffee. Wo es bis heute leider nicht gelungen ist größere Fortschritte zu erzielen. Noch dazu, da es sich hier zum Teil um dieselben Konzerne handelt, denn ein Teil der Tabakproduktion und des Vertriebs ist im Rahmen der Globalisierung inzwischen von großen Lebens- und Genussmittelkonzernen übernommen worden. Letztendlich wird ohne eine grundlegende Änderung des Gesellschaftssystems hier nur wenig zu erreichen sein. Die Verantwortung dafür den einzelnen VerbraucherInnen anzulasten wird nicht zur Lösung beitragen. Denn die meisten VerbraucherInnen haben weder die Zeit zur Auswahl und Prüfung, noch das Geld, um ausschließlich fair gehandelte und ökologisch angebaute Produkte zu kaufen. Auch hier bilden RaucherInnen keine Ausnahme.

Die Argumentation, das Rauchen ja nun völlig überflüssig sei, und deshalb RaucherInnen ja wohl wenigsten auf ökologische und soziale Standards achten könnten, ignoriert, dass dies für einen Großteil unseres Lebens- und Genussmittelkonsums gilt. So könnten wir z.B. auch problemlos auf Salz und Zucker verzichten. Die wenigsten kaufen aber ausschließlich fair gehandelten und ökologisch angebauten Zucker, und bei Salz achten auch nicht viele darauf. Und auch für Salz und Zucker würde gelten, dass wir ohne ihren Konsum gesünder leben würden.

Die Reduktion des politischen Handelns auf individuelles Agieren als KonsumentIn stellt eine gefährliche Kurzschlussargumentation dar, die die realen Möglichkeiten gesellschaftlich verantwortungsbewussten Eingreifens eher verhindert, als ihnen nutzt. Die Wahlfreiheit als Einzelne ist sehr begrenzt. Die meisten Menschen stoßen sehr schnell an ihre finanzielle und an strukturelle Grenzen. Letztendlich gerät die individuelle Schuldzuweisung so schnell zur Ablenkung von den realen gesellschaftlichen Strukturen, die das Leben und die Freiheit gefährden. Angesichts der Übermacht der Zwänge, in denen sich die meisten Menschen alltäglich bewegen, ist eine solches Ausweichen, eine solche Verdrängung der Realität, psychologisch verständlich, weiterhelfen tut sie aber nicht.

RaucherInnen zu Sündenböcken zu stempeln, ist so für AntiraucherInnen oft nur ein bequemer Ausweg um die eigene Ohnmacht angesichts gesundheitlicher Gefahren zu kaschieren. Damit werden Problemlösungen aber eher verhindert als befördert. Und dies gilt nicht nur für die Vielfalt gesundheitlicher Gefährdungen, die halt eben nichts mit dem Rauchen zu tun haben, sondern auch für die Tabakproduktion und ihr Risikopotential selbst.

So gäbe es eine Vielfalt an Möglichkeiten Tabakwaren weiterzuentwickeln. Denkbar wäre zuerst einmal, die Einführung eines Fairhandelszeichens, die Einforderung von ökologischen Standards, das Weglassen von Zusatz- und Verarbeitungsstoffen, die Verwendung z.B. von Hanf statt Papierblättern, die Weiterentwicklung von Zigarren und Zigarillos für den Massenkonsum, moderne Pfeifenkonstruktionen, und vieles mehr, was sowohl dem Genuss, als auch der Umwelt und der Gesundheit dienen würde. Zur Zeit verhindern aber die von den US-Konzernen beherrschten Kartelle und Oligopole fast alle sinnvollen Innovationen. Und jegliches kritische Engagement von RaucherInnen in dieser Richtung wird durch die unglückliche Koalition zwischen Tabakkonzernen und Antirauchlobby behindert. Die ideologische Verfolgung des Rauchens durch die Antirauchfraktion bewirkt leider hier häufig, dass RaucherInnen in eine unsinnige Solidarisierung mit der Tabakindustrie gezwungen werden. Eine differenzierte Kritik und die Einforderung von sozialen und ökologischen Standards bei Tabakproduktion und -vertrieb und auch die Einforderung der Entwicklung anderer innovativer und verbrauchergerechterer Tabakwaren gerät so häufig ins Abseits.

Eine Kritik der Kampagnen der Tabakindustrie ist aber aus rauchfreundlicher Sicht dringend notwendig gerade um die ideologische Verkürzung der AntiraucherInnen, die jede Form des Rauchen und alle Tabakwaren über einen Kamm scheren, zu durchbrechen. Und auch um die falsche Ideologisierung des Rauchens durch die Tabakkonzerne in die Kritik zu bekommen. Dies gilt insbesondere für eine dringend notwendige Kritik einer teils unerträglich sexistischen und konsumfetischistischen Zigarettenwerbung.

Die Tabakwerbung unterscheidet sich leider nicht wesentlich von anderer Werbung. Hier lassen Männerkumpaneien die die Stuten jagen und den Hengst beherrschen mit tiefer Stimme verlauten wie toll sie doch sind, hier werden junge hippe Reiche und leistungsfixierte KarrieristInnen als Vorbild der neuen Generation abgefeiert, hier werden aber auch klischierte Stereotype heterosexueller Anmache mit dem Anmachen der Zigarette in Zusammenhang gebracht. Nicht nur die Werbung für Milchprodukte arbeitet also mit sexistischen Klischees.

Die Tabakindustrie ist auch wesentlich mitbeteiligt am Image der Zigarre als Phallusersatz für Männer in einem Alter, in dem die ersten Potenzprobleme auftreten. Auch Pfeifen, Zigarillos oder Kautabak werden üblicherweise ausschließlich mit älteren Männern in Zusammenhang gebracht. Damit wird die Wahl alternativer Rauchprodukte gerade für Frauen ausgesprochen erschwert. Für manche wären sie ansonsten wahrscheinlich sowohl aus geschmacklicher wie gesundheitlicher Sicht eine Alternative zur Zigarette. Der emanzipative Schritt in dem sich Frauen hier nicht weiter zu Ungunsten ihrer Gesundheit von sexistischen Klischees bevormunden lassen, steht aber noch aus. Die Tabakindustrie setzt leider weiter auf die Reproduktion altbackener Stereotype.

Besonders menschenfeindlich wird die Zigarettenwerbung dort, wo sie, der totalitären Gesundheitsideologie folgend, mit gesunden Körpern in Hochleistungsposen die Leistungsideologie und den Fetisch Sport bedient. Hier wird die Zigarettenindustrie selbst zum Teil einer prefaschistischen Gesundheitslobby, die mit dem Wiederaufnehmen der RiefenstahlÄsthetik auch die Inhalte faschistischer Propaganda übernimmt. Denn die Aussage, dass nur gesunde Menschen glücklich sind, ist faschistisch. Glück, Leistungsfähigkeit und eine biegsame und stählerne Körperfitness in eins zu setzen ist offensichtlich Unsinn. Um dies zu begreifen reicht es, die alltäglichen verkniffenen Minen dieser selbsternannten 'Leistungseliten' und ihre neidischen Hasstiraden gegenüber Menschen, die sich durch diese Leistungsideologie nicht unter Druck setzen lassen, zu betrachten.

Welcher unmenschliche Druck hier ausgeübt wird macht insbesondere die Light-Werbung deutlich. Hier wird mit Frauen, denen akute Mangelernährung anzusehen ist, für ein Schönheitsideal geworben, bei der zum Leistungsfetisch noch die Selbstkasteiung diverser Schlankheitsrituale hinzukommt. Auch hier ist sich die Zigarettenindustrie nicht zu schade diese lust-, genuss- und leibfeindliche Propaganda mitzumachen. Eine Propaganda, die, da sie sich vor allem an Frauen wendet, auch frauenfeindlich ist, denn es geht bei diesem Schönheitsideal nicht unwesentlich darum in der Neuauflage alter puritanischer Ideale den sexuellen Leib der Frau aus der Öffentlichkeit zu bannen. Diesmal geschieht dies nicht durch eine repressive Kleiderordnung, sondern in dem man ihr das eigene aushungern nahelegt, bis ihr Körper dem männlichen Ideal einer knabenhaften Weiblichkeit genügt. Letztendlich spiegelt sich hier nichts anderes als die männliche Angst vor weiblicher Sexualität, die Angst vor der sexuellen Potenz von Frauen.

Konsequent weiter gedacht führt die Gleichsetzung von Glück und Gesundheit auf direktem Weg zur Eugenik, zur Ermordung sogenannten lebensunwerten Lebens.

Doch Glück hat nichts mit Funktionalität zu tun. Glück ist sehr schwer zu fassen und auf keinen Fall in Maßstäben von Tabellen oder statistisch mathematischen Kalkulationen unterzubringen. Diejenigen, die wie die Antirauchfraktion dies versuchen, haben in ihrem Leben wohl noch nicht viel Glück erlebt. Glück für sich und andere, dass bedeutet häufig auch sich verschenken zu können, sich verschwenden zu können, einfach einmal fünf gerade sein zu lassen. Hier sind RaucherInnen geradezu Vorbild. Denn RaucherInnen verschwenden tatsächlich einen Teil ihres Geldes und Lebens. Eben gerade dies sollte zum Vorbild in einer Gesellschaft genommen werden, die an einem Übermaß von Funktionalismus, einem Übermaß an Vernunft, zu ersticken droht. Gerade die Verausgabung ohne direkte konkrete Gegenleistung ist eine Grundvoraussetzung für Glück, Lust und Liebe, ja für ein soziales Miteinander insgesamt.

Rauchen und Konsum sind nicht die Utopie der Freiheit, dies wäre eine ideologische Verdrehung politischer Begriffe, wie sie durch die Tabakkonzerne gerne vorgespiegelt wird. Aber die Fähigkeit zur Unvernunft, die Verweigerung eines rein funktionalen Konsums, sind Teile aus denen so etwas wie die Utopie eines anderen Lebens entstehen könnte. Leistungsideologie, die Rede vom vernünftigen, an den Notwendigkeiten einer menschenfeindlichen Industriegesellschaft ausgerichteten, Handelns, führen in der totalen Konsequenz, wie sie von AntiraucherInnen vorexerziert wird, zu einer Moral der Ausgrenzung der sozial Schwachen und von Allem, was nicht in die funktionale Norm passt.

Die Tabakkonzerne schaufeln mit der am allgemeinem Gesundheitsfetischismus orientierten Werbung mit an ihrem eigenem Grab. Denn es ist ja eben dieser nicht unwesentlich von der Tabakwerbung forcierte Gesundheitsfanatismus, der als fundamentalistischer Glaubenskrieg sich eben auch gegen die Tabakkonzerne und das Rauchen wendet. So unterstützen denn die Tabakkonzerne den Glaubenskrieg der AntiraucherInnen. Das Banner dieser GlaubenskriegerInnen ist heute der Satz: "Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit."

Noch einmal zum Schluss, das Problem liegt nicht in diesem Satz. Das Problem liegt darin, was dieser Satz alles verschweigt. Ich habe nichts gegen eine Auszeichnungspflicht bei Lebens- und Genussmitteln. Nur eine Auszeichnungspflicht macht nur Sinn, wenn sie auch differenzierte Informationen liefert und nicht nur einzelne Produktgruppen, wie Tabakwaren, diskriminiert. Auch bei Zucker, Salz und erst Recht bei genetisch hergestellten Lebens- und Genussmitteln muss eine differenzierte Auszeichnung zur Pflicht werden. Gut wäre sogar ein noch sehr viel allgemeineres Recht auf Information. Z.B. der Information der BürgerInnen, über die Verwendung aller ihrer Daten - im Sinne eines Rechts über die eigenen Daten zu verfügen -, einer Information über Orte an denen eine Kameraüberwachung stattfindet und die weitere Verwendung der Bilder - im Sinne eines Rechts auf das eigene Bild -, usw.. Insgesamt muss den mündigen BürgerInnen eine allgemeine Informationspflicht der Konzerne und des Staates bei Seite gestellt werden, um ihnen eine differenzierte Entscheidung überhaupt zu ermöglichen.

Nur bei manchem Fast-Food-Riesen müsste dann wohl ein Totenkopf oder das Bio-Hazard-Zeichen ins Firmenlogo aufgenommen werden.


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08 - Freiheit und Rücksichtnahme


Jede Lebensäußerung eines Menschen schränkt potentiell die Freiheit anderer Menschen ein. Denn was Menschen auch immer tun, sie verbrauchen damit Ressourcen, die nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen. Mit jedem Schritt, den ein Mensch geht, wird die Lebenswelt aller Menschen verändert. Eine SkifahrerIn stört mit ihren Loipen das ökologische Gleichgewicht, eine AutofahrerIn stößt Abgase aus, ist für den Flächenverbrauch des Straßenbaus, für Tausende von Verkehrstoten und für das Verbrennen wichtiger Rohstoffe mit verantwortlich, eine Badende verschmutzt das Gewässer in dem sie badet, FerntouristInnen schädigen noch intakte Ökosysteme und die Atmosphäre durch das hohe Luftverkehrsaufkommen, Menschen verbrauchen Wasser, das damit anderen nicht mehr zur Verfügung steht, und, und, und, ... . Es gibt keine Freiheit ohne die Einschränkung der Freiheit Anderer. Darum kann es nicht Ziel sein jegliche Einschränkung Anderer zu vermeiden, sondern Ziel muss der Ausgleich, die gleiche Belastung und Freizügigkeit für Alle sein. Das Problem dieser Gesellschaft dabei sind nicht die RaucherInnen, sondern die faktische Ungleichheit der Handlungsmöglichkeiten. Es ist völlig inakzeptabel das einige wenige sich auf Kosten der Vielen Freiheiten herausnehmen bzw. sie sich kaufen können.

Notwendig ist gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz unter gleich Unterschiedlichen. Die FußgängerIn springt der AutofahrerIn nicht ins Gesicht, wenn diese mal wieder mit dem Auto fährt, die AutofahrerIn akzeptierst das Bedürfnis der FußgängerIn häufig und lange zu Baden und zu schlafen und nimmt darauf Rücksicht, und beide sind tolerant gegenüber RaucherInnen und berücksichtigen die je unterschiedlichen Bedürfnisse der Anderen. Wichtig ist das alle Einschränkungen hinnehmen und auf der anderen Seite Freizügigkeit beanspruchen können. Wichtig ist ein gerechter Ausgleich in einer Gesellschaft gegenseitiger Toleranz, Freiheit und Rücksichtnahme.

Veränderungen sollten dort einsetzen, wo sie nur geringfügig Freiheit einschränken. So könnten viele überflüssige und unangenehme Arbeiten, z.B. übermäßiges Putzen mit chemisches Haushaltsreinigern, einfach unterlassen werden, oder die Produktion von Rüstungsgütern eingestellt werden, ohne das irgendeine in ihrer individuellen Freiheit eingeschränkt würde.

Der Maßstab muss dabei aber immer der individuelle Mensch und ihr oder sein Empfinden bleiben. Es gibt keinen objektiven Maßstab für menschliches Glück. Dies kann nur jede und jeder für sich beurteilen. Und zwischen den unterschiedlichen Empfindungen und Wünschen braucht es deshalb einen Ausgleich, der nur in der Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Interessen stattfinden kann. Rücksichtnahme, Toleranz, heißt, ein gegenseitiges Eingehen auf die Bedürfnisse der Anderen, und nicht ein Bedürfnis als unnatürlich und krank abzuqualifizieren. Freiheit gibt es nur als Freiheit, die Menschen erlaubt auch das, für sie nach Meinung anderer, Falsche und Schädliche zu tun. Freiheit ist immer auch die Freiheit zur Unvernunft. Jede Festlegung eines absoluten Richtigem, einer absoluten Vernunft, führt letztendlich zur Unterdrückung all jener, die eine andere Lebensauffassung vertreten, als die gerade Vorherrschende.

Im Mittelalter galt es als unvernünftig von der Erde nicht als einer Scheibe zu denken. Das heißt Freiheit, das ist auch das Recht auf Unsinn, das Ungesunde und den Schmutz. Nur wenn es erlaubt ist, sich anders zu entscheiden, gegen die Vernunft, gegen das, was als gesund angesehen wird, gegen die kulturell übliche Norm, gibt es Freiheit. Denn der menschliche Leib, die leibliche Erfahrung, die Lüste und Interessen, passen nicht in irgendein endgültiges und richtiges Raster. Die Menschen als gesellschaftliche, kulturelle Wesen zeichnen sich gerade dadurch in ihrer Menschlichkeit aus, dass sie sich selbst immer wieder verändern, nichts endgültiges, nichts festes an ihnen ist. Die Festsetzung der Menschen auf ein richtiges, gesundes Leben bedeutet damit letztendlich die Verneinung eben dieses Lebens. Was macht unser Leben aus, wenn nicht gerade die Dinge, wo wir nicht funktional, nicht wie Roboter handeln, die Liebe, die Lust, der Genuss, der Rausch, der Witz, das Lachen und der Traum.

Seit Jahrhunderten bekämpfen bürgerlich spießige PuritanerInnen dieses Leben, weil sie sich selbst nicht trauen es für sich zuzulassen. Weil sie jeden Rausch, jede Liebesnacht, jeden Kontrollverlust, jede Abweichung als Horror erleben. So versuchen sie alles zu verbieten, was diese Gefahren heraufbeschwören könnte. Sie hetzen und intrigieren gegen das Trinken, das Rauchen, gegen freie Sexualität, gegen spielende Kinder, gegen lärmende Jugendliche, gegen ästhetische Experimente, gegen radikale Gedanken, gegen das Lachen und gegen das Leben im allgemeinen. Unterstützung finden sie bei den Herrschenden, die nur allzu gerne diese Kontrollzwänge für ihre Zwecke instrumentalisieren. In einer Normalisierungsgesellschaft, in der die Menschen in Europa zumindest zum Teil leben, wird dies Kontrolle zur Selbstkontrolle durch das eigene Gewissen umgebogen. So kontrollieren sich dann die Arbeitenden selbst und sichern ihr Funktionieren. Auch Rauchen kostet nur Arbeitszeit. Am besten die Menschen hören auf zu rauchen, zu schlafen und Gefühle zu äußern, denn all dies stört nur den Arbeitsablauf. Freiheit bedeutet die Freiheit sich disfunktional verhalten zu dürfen und zu können. Die wenigen Freiräume, in denen das heute noch möglich ist, gilt es auch gegen die AntiraucherInnen zu verteidigen.

Es ist deshalb ausgesprochen unverständlich wie Menschen, die sich ansonsten für mehr Freiheitsrechte einsetzen, die Antirauchhetze unterstützen können, ohne sich in ihren Widersprüchen zu verstricken?
- Wie können Menschen, die Freiheit wollen, diesen repressiven Totalitarismus unterstützen?
- Wie können sie die Medizinalisierung und totale Kontrolle immer weiterer Lebensbereiche befördern?
Offensichtlich haben auch viele Menschen, die sich für Freiheit engagieren ihre eigene Verstricktheit in Disziplinardenken und Normalisierungsstrukturen nicht wirklich für sich aufgearbeitet. Die protestantische Erziehung verankert nach wie vor auch im Denken vieler fortschrittlicher Menschen die Gedanken des Puritanismus. Und auch viele Menschen, die sich für die Freiheit engagieren, begreifen nicht, dass dies voraussetzt sich gegen ein rein funktionelles Denken, ein Denken das nur eine instrumentelle Vernunft kennt und sonst nichts, zu verwahren. Sie haben auch häufig für sich selbst nicht verwirklicht, dass Freiheit auch Lust auf Unvernunft bedeutet. Das zentrale Problem dieser Gesellschaft ist nicht ein zuviel an Unvernunft, sondern ein zu viel an zwanghafter Vernünftigkeit und der Gehorsam gegenüber einer rein funktional denkenden Wissenschaft, die damit an der Substanz des Lebens immer vorbeigeht. Der Glaube an die Wissenschaft insbesondere an die Medizin und ihr Menschenbild hat heute einen ähnlich religiösen Wahncharakter erreicht, wie der christliche Heilsglaube im Mittelalter. Das Leben wird dabei vergessen. In ihrem Gesundheitswahn verlieren so auch die AntiraucherInnen alles andere aus dem Blick.

Dieser Text nimmt nicht in Anspruch all umfassend alles erfasst zu haben. Dieser Text ist kein wissenschaftliches Werk. Dies ist eine Streitschrift, die eine rationale Diskussion erst einmal durch eine klare, zum Teil auch zugespitzte, Positionierung, durch das Einbringen der ausgegrenzten Blickwinkel in den Diskurs überhaupt erst ermöglichen will. Denn die klare Darstellung auch der abweichendem Seiten ist die Voraussetzung eines rationalen Diskurses. Kommt, wie bisher im Antirauchdiskurs, nur eine Seite zu Wort gibt es keine Rationalität. Niemand und nichts ist absolut konsequent, auch dieser Text nicht. Auch hier finden sich sicher noch Auslassungen, Verkürzungen und unbewusste Setzungen. Der Text strebt nur auch keine reine Lehre an. Die Forderung nach absoluter Konsequenz ist unmenschlich und totalitär. Dieser Text ist nicht nur sauber und klar, sondern auch von Ambivalenz gezeichnet. Doch der Irrtum, der Traum, Inkonsequenzen, dies sind nur allzu oft die Quelle von Inspiration und Lösungen. Dieser Text misstraut dem eingeschränkten wissenschaftlichen objektivistisch totalitärem Blick zutiefst. Die Wissenschaften verfehlen das Eigentliche nur allzu oft.

Und es sind im Regelfall nicht die RaucherInnen, die sich hinter irgendwelchen objektivistischen Wissenschaftsaussagen verschanzen, es sind die AntiraucherInnen, die sich hinter wissenschaftlichen Titeln und Institutionen verkriechen, hinter MedizinerInnen und SozialwissenschaftlerInnen. Sie arbeiten mit dem größten und wichtigsten Wirtschaftszweig Hand in Hand. Denn der Medizinisch-Industrielle-Komplex ist längst in allen Industrieländern zu einem überwältigenden und demokratisch kaum noch zu kontrollierendem Moloch geworden.

Es ist deshalb, wie schon gesagt, vollständig absurd, wenn solche HeldInnen, die sich in ihrer gesamten Argumentation auf Texte, Statistiken und die Unterstützung aus den Schaltzentralen der Macht verlassen, sich gebärden, als wären sie eine arme verfolgte Minderheit. Tatsächlich ist gegen diese wirtschaftlichen Interessen die Tabakindustrie ein unbedeutender und randständiger Bereich der Wirtschaft. Die Voraussetzung für eine freie und auf dem Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme basierende Gesellschaft ist aber eine realistische Einschätzung der eigenen Verstricktheit in Macht- und Wirtschaftsinteressen. Den RaucherInnen ist durchaus klar, dass sie nicht so tun können, als gäbe es keine Tabakindustrie. Die AntiraucherInnen tun aber so, als würden sie keine wirtschaftlichen Interessen vertreten, als hätten sie keine politische und wirtschaftliche Megamacht im Rücken. Dabei sind ihre Argumentationen und Tiraden, wie in diesem Text aufgeführt, von den vielfältigsten autoritären und totalitären politischen und wirtschaftlichen Interessen durchdrungen. Als Voraussetzung für einen offenen Diskurs müssten auch sie anerkennen, dass auch das, was sie vertreten, eine Meinung ist und anderen Meinungen nicht weniger Recht zukommt.

Die Voraussetzung für eine faire Auseinandersetzung ist, dass alle, RaucherInnen und AntiraucherInnen, sich über ihre Abhängigkeiten klar werden. Und, dass nicht die AntiraucherInnen diese einseitig leugnen. Auch sollten sich alle über ihre unterdrückten und verdeckten Motive klar Rechenschaft ablegen. Denn der Hass mit dem viele AntiraucherInnen das Rauchen verfolgen ist wohl kaum rational mit den Folgen des Rauchens zu erklären. Denn dann müssten sie logischerweise auch AutofahrerInnen, FerntouristInnen und viele andere Menschen, die Schädigungen der Umwelt bewirken, mit der gleichen Radikalität verfolgen. Das tun sie aber nicht. Der Grund für die verzehrte Fratze, für die Tiraden gegen das Rauchen, liegt also nicht im Rauchen selbst, sondern offensichtlich in dem, was damit verbunden wird, der Angst vor allem was Anders ist, was als schmutzig empfunden wird, was leibliche Lust und Genuss repräsentiert.

Das Problem des Rauchens ließe sich leicht durch ein wenig gegenseitige Rücksichtnahme lösen. Natürlich gibt es auch einige RaucherInnen, die nicht zur Rücksichtnahme bereit sind - aber meist sind es die AntiraucherInnen die, selbstgerecht und nicht bereit zu Kompromissen, jegliche Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse von RaucherInnen vermissen lassen. Die gegenseitige Bereitschaft anderen Menschen zuzubilligen, selbst zu entscheiden, was sie für sich wollen, ist aber die Voraussetzung für eine freie Gesellschaft. Menschen, die wie viele AntiraucherInnen nur noch ihre eigenen Wahrheiten als das einzig gültige akzeptierten, zerstören durch ihre Unfähigkeit zur Auseinandersetzung letztendlich die Gesellschaft. Denn ein Zusammenleben erfordert die Fähigkeit auch anderen ihren Raum zu lassen.

Die Hetze gegen RaucherInnen erinnert in vielem an die Inquisition und die sozialrassistischen Ausgrenzungen Anderslebender und -denkender durch RechtspopulistInnen der verschiedenen Ausrichtungen. AntiraucherInnen agieren häufig im Sinne eines Kulturimperialismus. Sie lassen nur ihre eigene Lebensweise als einzig richtige und seligmachende gelten. In einer komplexer werdenden Gesellschaft ist aber die Akzeptanz und Toleranz für von der eigenen Norm abweichende Menschen die Grundvoraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens.

Das heißt nicht, dass Menschen nicht eine klare Meinung haben dürfen, die sie für richtig halten, und andere müssen sich Streit und Kritik schon gefallen lassen. Nur wenn sich die Anderen nicht überzeugen lassen, muss halt gemeinsam eine praktikable Lösung gefunden werden. Dieser Text richtet sich nicht gegen Streit und argumentative Auseinandersetzung, für eine Streitschrift wäre dies auch höchst inkonsequent, aber Streit sollte als Streit unter gleich Unterschiedlichen ausgetragen werden. Der polemische Streit, die Zuspitzung, die klare Positionierung ist im gewissen Sinn sogar geradezu eine Voraussetzung für das Zusammenleben, denn nur so kann eine für alle akzeptable Praxis gefunden werden. Die Bereitschaft sich mit Kritik auseinanderzusetzen, die eigene Lebensweise nicht für sakrosant zu erklären, ist eine Voraussetzung dafür, die eigene klare Äußerung der eigenen Meinung aber auch.

Bestimmte Lebensweisen als dreckig, schmutzig oder gar krank auszugrenzen ist aber die Sprache des Totalitarismus. Der Hass, die Ausgrenzung der Anderen weist letztendlich auch immer auf diejenigen zurück, die den Hass predigen. Denn es ist meist die eigene Ich-Schwäche, die Selbstverachtung, die Menschen zu dieser Form von Hass treibt. So finden sie in ihrer Sekte ihr Heil und ihre Stärke. Das kann dann eine religiöse Erweckungsbewegung sein, das kann die rechtsradikale Gefolgschaft sein, das kann aber auch die Identität als Teil der sauberen AntiraucherInnenbewegung sein.

AntiraucherInnen sind häufig Menschen, die selbst früher geraucht haben, und nun im Bild der anderen, der RaucherInnen, auch sich selbst verfolgen, das eigene frühere Rauchen, das sie als 'Schwäche' auslegen, die ihnen nun unerträglich scheint. Dieses Bild vom Menschen ist menschenfeindlich. Menschen sind keine Terminatorroboter, auch wenn die Werbung mit ihren Kunstkörpern dies gerne vorgaukelt. Wenn AntiraucherInnen sich ihre eigenen Lüste eingestehen könnten, wären sie vielleicht auch in der Lage mit anderen Menschen mitzufühlen, statt gegen RaucherInnen zu hetzen.

Sicher ist die zunehmende Stigmatisierung von RaucherInnen in dieser Gesellschaft für diese zumindest bis jetzt noch kein existenzielles Problem. In diesem Sinn ist sie mit der Gewalt gegen Asylsuchende oder Homosexuelle nicht vergleichbar. Aber sieht man, wie die NutzerInnen anderer Rauschmittel zum Teil in die Verelendung getrieben wurden und immer noch werden, z.B. Menschen, die auch nur geringe Mengen Alkohol trinken in fundamentalistisch islamischen Ländern, oder HaschischraucherInnen in den USA, dann sieht man das Gefahrenpotential einer solchen Politik auch in diesem Bereich. Letztendlich unterscheidet sich die pogromartige Stimmungsmache vieler Antirauchkampagnen nur marginal von den Hetztiraden fundamentalistischer Moslems gegen den Alkohol oder von der Verteufelung frei gelebter Sexualität durch fundamentalistisch christliche Sekten in den USA. Der Hass auf das Rauchen ist nicht zu trennen vom Hass auf all den anderen 'Schmutz', auf andere Rauschmittel, auf eine freie Sexualität, auf Homosexuelle, auf Menschen anderer Hautfarbe. Die Antirauchkampagnen nutzen dieselben Denkfiguren und verstärken diese. Und deshalb ist eine Rückkehr zur sachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung unter gleich Unterschiedlichen, zwischen Menschen, die rauchen, und AntiraucherInnen, zwischen Menschen unterschiedlicher politischer Zielrichtungen, zwischen Menschen mit und ohne religiösen Glauben, zwischen Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Praxen, so wichtig.

Eine freie Gesellschaft basiert auf einem Interessenausgleich von Gleich zu Gleich unter der streitbaren Akzeptanz unterschiedlicher Ziele und Wünsche. Dieser Text will dazu einen Beitrag leisten in dem ausgeblendete Teile des Diskurses in diesen eingebracht werden.


A. Frankiewicz, Hannover 2001/2021


Fin

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Zusatztext - Angstpolitik und Straflust in Antirauchdiskursen






Die Presse zum Thema Rauchen



















Impressum:


























Zuletzt aktualisiert 30.01.2021





Gesundheit Rauchen Raucher Raucherinnen. Ein Buch zur Kritik des AntiraucherInnen- und Gesundheitswahns - zu den Themen: Rauchen, Raucherin, Zigarette, Drogenfreigabe, Drogen, Medikamente, Protestantismus, Medizin, Ratgeber, Nichtrauchen, Zigaretten, Tabak, Gesundheit, Anarchie, Anarchismus, Lungenkrebs, Nichtraucher, Krebs, Faschismus, Lust, Lustfeindlichkeit, Leibfeindlichkeit, Genuß, Freiheit, Pro, Contra, Rausch, Sucht, Rauschmittel






































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Angstpolitik und Straflust in Antirauchdiskursen

Zur Biopolitik im AntiraucherInnendiskurs

Die Lust der BlockwartIn bei der Durchsetzung des Rauchverbotes



Zuerst 3 Anmerkungen

- Bei der Antirauchpolitik geht es vielleicht auch um Gesundheit, aber nicht nur und nicht primär!

Die VertreterInnen der Antirauchpolitik behaupten ihr primäres Anliegen wäre die Gesundheit der Menschen. Dies widerspricht sich aber mit der realen Politik die eingefordert und umgesetzt wird, dabei ist anzunehmen, dass viele im Antirauchdiskurs Engagierte inzwischen selbst diesem Mythos glauben. Wieso widerspricht die reale Politik der Förderung von Gesundheit.

MitraucherInnen und RaucherInnen könnten durch die gezielte Förderung alternativer Tabakprodukte sehr viel schneller und effizienter geschützt werden. Da nicht das Nikotin, dass Hauptrisiko darstellt, sondern die vielfältigen anderen beim Rauchen inhalierten Stoffe, sind Tabakprodukte, die nicht verbrannt werden und unter ökologischen Bedingungen ohne Zusatzstoffe produziert werden, eine reale Alternative.
Außerdem sind die schwachen 'amerikanischen' Zigaretten ein Problem, bis zur Jahrhundertwende (19tes/20tes Jahrhundert) wurde nicht auf Lunge geraucht, da dies mit den damaligen Tabakprodukten nicht möglich war. Nach Angaben von Tabakkritikern[1] war die Lungenkrebsrate auf Grund des Tabakkonsums bis zu Beginn des 20ten Jahrhunderts fast 0.
Eine ernst zu nehmende Gesundheitspolitik müßte also gezielt weniger schädliche Tabakprodukte fördern, dies wäre sehr viel effizienter als die derzeitigen Tabuisierungskampagnen, die zum Teil sogar zum Anstieg des Zigarettenkonsums führen.
Dies geschieht aber nicht, im Gegenteil werden solche Entwicklungen systematisch behindert. Dies zeigt sehr deutlich, dass es nichtprimär um Gesundheit sondern um Disziplin und die Durchsetzung einer neuen biopolitischen Norm geht.

- Bei der Antirauchpolitik geht es nicht wirklich um Drogenfreiheit.

Die AntirauchaktivistInnen behaupten, es ginge ihnen um den Kampf gegen die kommerzielle Ausnutzung psychopharmakologisch wirksame Substanzen, also Drogen mit Abhängigkeitspotential.
Wäre diese Aussage tatsächlich die Intention der in der Antirauchpolitik Aktiven, müßte sie aber für alle solche Substanzen gleichermaßen gelten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die weltweit die Antirauchkampagnen anführt, ist aber gleichzeitig eine der Organisationen die weltweit dem steigenden Absatz an Psychopharmaka den Weg bereitet. So werden in Studien der WHO ca. ein Viertel der EU-Bevölkerung als behandlungsbedürftig erklärt. Die verständlicherweise deprimierte Stimmung vieler Menschen an Gesichts der Zuspitzung von Ausbeutungsverhältnissen und der vielfach empfundenen politischen Ohnmacht, wird von der WHO unter dem Label 'Depression' zu einer psychopharmakologisch zu behandelnden Volkskrankheit erklärt.
Die WHO agiert damit implizit als verlängerter Arm der Pharmakonzerne[2], die zu den Profiteuren des 'Kampfes gegen Drogen' gehören. Denn beim sogenannten 'Kampf gegen Drogen' geht es real gar nicht um Drogenfreiheit sondern um eine Umverteilung der Marktanteile zwischen illegalen bzw. frei zugänglichen Drogen und den von den Pharmakonzernen kontrollierten Drogen (Prozak, Ritalin, u.a.) zu Gunsten der Pharmakonzerne.
Dem sinkenden Absatz illegaler Drogen (Heroin, Kokain, u.a.) und freier Drogen (Tabak, u.a.) in der EU und den USA steht ein seit Jahren steigender Absatz der Pharmadrogen gegenüber. Menschen die früher zur Flasche oder Zigarette gegriffen hätten um Streß abzubauen, laßen sich jetzt Psychopharmaka verschreiben.
In diesem Kontext ist auch zumindest ein Teil der Antirauchpolitik zu sehen, die übrigens mit Millionenbeträgen für die Antirauchlobby von der Pharmaindustrie unterstützt wird.[3]

- Die WHO betreibt im Bereich der Auseinandersetzung mit den Folgen des Rauchen politische Lobbypolitik auch mit fragwürdigen Aussagen.

Die WHO legen an ihre Aussagen zur Gefährdung durch Mitrauchen nicht dieselben Maßstäbe an, wie an ihre Aussagen über die Gefahren der Atomenergie.
Der IAEO-Report über Tschernobyl, die IAEO vertritt die WHO in diesem Punkt, stellt fest, dass Erhöhungen von Krebserkrankungsraten unter ca. 1% auf Grund der Schwankungen durch unbekannte Faktoren außerhalb des statistisch Meßbaren liegen. In realen Zahlen heißt dies, für ein Land der Größe der Bundesrepublik, dass Schwankungen in der Größenordnung von ca. 10.000 Krebserkrankungen mehr oder weniger im Jahr im statistischen Grundrauschen untergehen. Das heißt, dass in diesem Bereich keine statischen Aussagen mit ausreichender Sicherheit möglich sind. Die Statistiken zu den Folgen des Mitrauchens bewegen sich aber alle unterhalb dieser Schwelle des statistisch sicher Aussagbaren. Eine Statistik ist damit nicht möglich, nur seriöse Abschätzungen sind möglich.
Das der IAEO-Report solche seriösen Abschätzungen über die Folgen von Tschernobyl (20.000 - 40.000 Menschen die in Folge von Tschernobyl früher verstorben sind) verschweigt, zeigt das hier die Atom-Lobby die Politik von IAEO/WHO bestimmt. Das die WHO die Aussagen über das Mitrauchen als statistisch bewiesen bezeichnet und nicht klar darstellt, dass es sich um seriöse Schätzungen handelt, zeigt, das auch hier Lobbypolitik im Spiel ist.

Ich will hier noch kurz auf einige Probleme von Mortalitätsstatistiken eingehen.
Was heißt die Aussage Y ist an Krebs gestorben? Gestorben ist Y dann vermutlich an Herzversagen ausgelöst durch Krebs, aber sicher wurde dieses Herzversagen nicht alleine durch Krebs ausgelöst, vielleicht hat zusätzlich eine Infektion im Krankenhaus eine Rolle gespielt? Ist Y dann zu z.B. 67% an Krebs gestorben und zu 33% an einer Infektion?
Wodurch wurde der Krebs verursacht. Krebs hat multikausale Ursachen, wieviel Prozent rechne ich dem Rauchen zu 20%, 40%, 60%?
Was ist mit Menschen die Rauchen und mit 30 Selbstmord begehen - da dadurch ihr Krebsrisiko = 0 ist - wie gehe ich damit statistisch um?
Was ist mit Menschen, die mit 50 an Krebs sterben, aber ansonsten mit 52 vom Auto überfahren worden wären? Das Grundproblem von Mortalitätsstatistiken ist, dass Aussagen der Art, 30% aller RaucherInnen sterben am Rauchen, Unsinn sind, denn sterben würden sie auch ohne zu rauchen, nur eventuell später. Das heißt, "RauchenerInnen sterben im statistischen Schnitt X Jahre früher" ist eine sinnvolle Aussage, die ganzen Aussagen wie "Rauchen tötet X Menschen" sind hingegen reine Rethorik. Bedacht werden muß, dass es sich hier überall um statistische Relationen handelt und nicht um Kausalketten wie z.B. bei Verkehrsunfällen oder Mord. Das heißt im den Einzelfall kann gar keine Aussage getroffen werden über die Folgen des Rauchens, von einer statistischen Aussage auf den Einzelfall zu schließen ist mathematisch falsch (Das ist der gleiche Fehler den Menschen machen, die glauben, weil sie 5mal hintereinander beim Würfeln verloren haben, müßten sie beim 6ten mal gewinnen.).


Die Anmerkungen hatten im wesentlichen einen Zweck, sie sollten deutlich machen, dass es im Bereich der Antirauchpolitik, jenseits der immer genannten 'rationalen' Gesundheitsargumente, offensichtlich eine ganze Reihe weiterer Momente gibt, die im Spiel sind. Ginge es allein um Gesundheit müßte die Politik ganz anders aussehen.

Dieser Text will einige dieser Momente unter dem Gesichtspunkt ihrer biopolitischen Funktionalität herausarbeiten und zur Diskussion stellen.

Die Antirauchpolitik wird im Regelfall mit rationalen Argumenten legitimiert, die vor allem auf den gesundheitlichen Schutz der Menschen abheben. Da gleichzeitig von den selben PolitikerInnen auf vielen Politikfeldern (z.B. Hartz IV / Verkehrspolitik / Landwirtschaftspolitik / Lebensmittelüberwachung / .. ) eine Politik betrieben wird, die genau das Gegenteil bewirkt und die die Gesundheitsbelastungen steigert, ist leicht zu erkennen, dass diese rationale Argumentation nicht den Kern der politischen Interessen, die zur Antirauchpolitik führen, ausmachen. Hier sind offensichtlich andere Interessen mit im Spiel.

Darauf verweist auch die große Emotionalität mit der die Debatte in der Bevölkerung geführt wird, die bereits zu tätlichen Angriffen auf RaucherInnen geführt hat. Offensichtlich geht es hier um sehr viel emotionalere Bereiche als rationale Gesundheitsgefahren, die in anderen Bereichen - Sport / Arbeitsplatz / Lebensmittelzusatzstoffe / Lebensmittelverunreinigungen - bis auf Ausnahmen kaum jemanden wirklich emotional interessieren.

Hier sollen deshalb drei emotionsbeladene Motivationskomplexe diskutiert werden, die im Kontext des Rauchens und der Debatten um Antirauchpolitik bei genauem Hinschauen augenfällig sind und die deutlich machen, worum es im Antirauchdiskurs auch noch oder sogar primär geht. Motivationskomplexe, die im engen Zusammenhang mit anderen aktuellen Politikfeldern und Interessen der Biopolitik stehen.

Folgende Komplexe sind augenfällig:

- Der Zusammenhang der diskursiv hergestellt wird zwischen Rauchen und abweichenden Verhaltensweisen und Normverstößen durch Jugendliche. Dies steht im Kontext der aktuellen Politik der Kriminalisierung von Jugendlichen und autoritärer Lösungsansätze zur Durchsetzung der Norm.
(Beispiele für das letztere sind die sogenannte 0-Tolleranzpolitik, die Kriminalisierung von Graffiti-Kunst (bis hin zur nächtlichen Helikopterjagd mit Wärmebildkameras), u.a..)


- Der Zusammenhang der diskursiv hergestellt wird zwischen Rauchen und (abweichender) Sexualität in der symbolischen Ordnung, in der psychoanalytischen Deutung des Rauchens und in der Werbung. Und die aktuelle (Re)Normierung der Sexualität in Richtung einer richtigen (gesunden) Sexualität.
(Beispiele für das letztere sind der AIDS-Diskurs aber auch die Diskurse rund um das Thema Schwangerschaft.)


- Der Zusammenhang von Antirauchpolitik und Straflust im Kontext eines zumindest teilweisen Scheiterns der Umweltschutzpolitik.
(Beispiele für das Scheitern der Umweltschutzpolitik:
- Zwar wurden Abgase und Verbrauch von Autos einer bestimmten Größenklasse reduziert, gleichzeitig stieg die Zahl der AutofahrerInnen massiv und die Wagen wurden größer
- Zwar ist die Windenergie erfolgreich, dies führt aber nicht zum Verzicht auf Atomenergie.)


Im folgenden will ich diese Komplexe genauer untersuchen. Ausgehend von diesen Analysen werden dann einige Thesen zum Thema Rauchen und neoliberale Biopolitik folgen.






Angstpolitik und Straflust der AntiraucherInnen

Rauchen und Jugendliche als gefährliche Klasse

Bereits aus Altägypten zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen ist ein Text überliefert der den kulturellen Niedergang durch eine Jugend beklagt, die nichts mehr taugt und der es an Respekt mangelt. Verfolgt mensch die Berichterstattung der folgenden Jahrtausende, ist es seit dem nur schlimmer geworden.

Der Topos der gefährlichen Jugendzeit und der Jugendverwahrlosung erfreut sich auch in der Bundesrepublik schon seit der Nachkriegszeit ('Die Halbstarken') durchgehender Beliebtheit. Real ist dies weitestgehend unabhängig von der realen Problemlage jugendlicher Normabweichungen.

Die Angst ist offensichtlich anderer Herkunft.

In der Angst vor Jugendlichen drückt sich vor allem die Angst der Älteren vor dem eigenen Verlust an Kontrollmacht im Alterungsprozeß aus. Ausgehend davon wird die Rede von der Jugendverwahrlosung im Zuge der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung; auf Grund der wachsenden Zahl alter Menschen, vermutlich weiter zunehmen. Da außerdem der Druck, auch im hohen Alter noch voll leistungsfähig zu sein, steigt, dürften auch individuell die Versagensängste steigen.
In den kommenden Jahrzehnten droht also eine Eskalation des Blickes, der Jugendliche zur gefährlichen Klasse abstempelt.

Besonders problematisch wird dies unter dem Gesichtspunkt, dass eine repressiv dumme 0-Toleranz-Strategie im Umgang mit jugendlichen abweichenden Verhalten um sich greift. Ein weiteres Problem sind Ethnisierungstendenzen (da eine hohe Zahl an Jugendlichen migrantische Hintergründe hat).
Zu befürchten ist die Kriminalisierung und frühzeitige Ausgrenzung unangepaßter Jugendlicher und damit auch die Zerstörung des innovativen Elements, dass Teile dieser Jugendlichen im besonderen Maß verkörpern. Damit ist langfristig eine konservative Regression der gesamten Gesellschaft zu befürchten.

Ein Teil der Diskussion um das Rauchen ist relativ eindeutig diesem diskursiven Feld zuzuordnen. So wird immer wieder gerade die Gefahr des Rauchens für Jugendliche betont und es werden für diese Gruppe besondere Maßnahmen und Gesetze gefordert und umgesetzt.
Das es hierbei nicht um das Wohl der Jugendlichen geht wird deutlich, wenn z.B. Jugendlichen Schulverweise erteilt werden, wenn sie wiederholt wiederrechtlich im Freien auf dem Schulgelände, dass zu verlassen ihnen untersagt wird, rauchen. Den Jugendlichen wird nicht geholfen sondern ihnen wird ein massiver Schaden zugefügt, ohne das es dafür einen triftigen Grund gäbe, denn beim Rauchen im Freien muß ja von Anderen kein Schaden abgewendet werden. Wenn es den ReguliererInnen real um das Wohl der Jugendlichen ginge und um den Kampf gegen Suchtgefahren, müßte die soziale Lage der Jugendlichen gerade verbessert und nicht verschlechtert werden. Ziel ist offensichtlich nicht das Wohl des Jugendlichen sondern die Durchsetzung einer Norm.
Diese Form kotrollfetischistischer Machtspielchen läßt sich auch in einem Teil anderer Maßnahmen gegen jugendliche RaucherInnen wiederfinden.


These 1

Ein nicht unerheblicher Teil der Antirauchpolitik, insbesondere der speziell auf Jugendliche ausgerichteten Regelungen, ist auf den Kontrollfetischismus einer Gesellschaft der Alten und ihrer Angst vor dem Alter, die sich in der Angst vor Jugendlichen manifestiert, zurückzuführen.








Die Schulordnung verbietet Rauchen und Sex auf dem Schulgelände

Werbeanalysen der Zigarettenreklame stellen fest, dass in dieser Werbung Rauchen mit einer offenen und auch Abweichungen gegenüber toleranten und souveränen Sexualität verknüpft wird (z.B. WEST) und das darüber hinaus auch eine Assoziation mit kritisch antiautoritären Denkweisen erfolgt (z.B. Lucky Strike). Gerade die Antirauchlobby betont immer wieder das diese Werbung auch wirkt. Dies soll hier nicht bestritten werden. Nur ist es natürlich absurd anzunehmen Zigarettenreklame würde nur bei RaucherInnen wirken!
Das heißt es ist davon auszugehen, dass nicht nur RaucherInnen das Rauchen mit interessanter und freizügiger Sexualität und politisch kritischem Denken assoziieren sondern, dass dies ebenso für die AtivistInnen der Antirauchlobby, gilt.

Wenn ich davon ausgehe, dass Zigarettenwerbung wirkt und RaucherInnen rauchen, weil sie damit sexuelle Freizügigkeit und kritisches Denken assoziieren, dann gilt zwangsläufig auch, dass AntiraucherInnen, dass Rauchen unter anderem aus dem gleichen Grund bekämpfen, weil sie damit freie Sexualität und kritisches Denken assoziieren. Denn die Werbung sehen sowohl RaucherInnen und AntiraucherInnen und es gibt keinerlei einsichtigen Grund, weshalb die Werbung unterschiedlich wirken sollte.
Die Angst der AktivistInnen der Antirauchlobby vor dem Rauch spiegelt damit zumindest bei Teilen auch ihre Ängste vor einer freien Sexualität und einer freien Gesellschaft.

Die Antirauchpolitik ist also auch Teil einer fundamentalistischen Politik gegen freie Sexualität und kritisches Denken. Dies gilt insbesondere für die USA. So gibt es an vielen Colleges Ordnungen, die explizit Rauchen und Sex auf dem Schulgelände (hier geht es um internatsähnliche Strukturen) untersagen, und sowohl in der Comicindustrie wie in der Filmbranche sind es zum Teil identische Lobbygruppen, die gegen Rauchen und Sex aktiv sind.
In Deutschland erscheint mir nach einer Durchsicht diverser Publikationen diese Verbindung aber nicht so signifikant.

In Deutschland sehe ich eher eine Verknüpfung von Antirauchdiskursen mit Hygiene-Diskursen einer ordentlichen sicheren Sexualität. Insbesondere in Verknüpfung mit dem erstgenannten Punkt der Kontrolle Jugendlicher.


These 2

Rauchen wird allgemein mit freier Sexualität und einem eher kritischem Habitus assoziiert. In der Psychoanalyse des Rauchens wird es als Substitut bei Problemen in der Sexualitätsentwicklung gedeutet, als Substitut und Regression in orale Bedürfnisbefriedigung, also auch als Normabweichung.
In den USA geht es damit bei der Antirauchpolitik auch um den Kampf gegen freie Sexualität und Normabweichungen. In der Angst der AntiraucherInnen vor dem Rauch spiegeln sich damit auch ihre Sexualängste und ihre Ängste vor einer freien Gesellschaft.
In Deutschland ist diese Verknüpfung von nachgeordneter Bedeutung, es gibt aber Verknüpfungen mit Hygienediskursen einer richtigen gesunden Sexualität und Lebensführung. Auch dies verweist wieder auf Ängste vor Verfall und Tod für die stellvertretend das Rauchen bekämpft wird.








Die Angst vor der industriellen Lebensmittel- und Umweltmanipulation und ein Sündenbock

In der kritischen Kriminalwissenschaft wird die aktuelle populistische Entwicklung hin zu immer brutaleren Strafen und einem Ausbau der Sicherheitstechnologie, die trotz der in den letzten 40 Jahren massiv gesunkenen Kriminalitätsraten stattfindet, als Effekt sozialer Unsicherheit analysiert.
In der neoliberalen Gesellschaft wird die soziale Lage, zumindest gefühlt, immer unsicherer, der Druck auf alle Menschen steigt. Da die Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung als scheinbar unabwendbares Übel nicht hinterfragt wird, kommt es zu einer Verschiebung der Ängste in andere Bereiche, insbesondre werden soziale Ängste auf Ängste vor Kriminalität projiziert. Die ganze angestaute Angst und Wut über kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse, die zu einer immer unmenschlicheren Gesellschaft führen, entladen sich in der Straflust mit immer brutaleren Methoden am 'Kriminellen' Subjekt.

Parallel zu dieser Analyse läßt sich nun insbesondere für Deutschland eine zweite Struktur dieser Art feststellen. Mit dem Scheitern der Grünen in den 90er Jahren, ihrer weit gehenden Aufgabe des Versuchen politische Forderungen durchzusetzen, und ihrer weitgehenden Anpassung an die etatistischen Verhältnisse, fiel auch im Umweltbereich für viele Menschen die Hoffnung, politisch Einfluß nehmen zu können, in sich zusammen.
Damit steht gerade für die umwelt- und gesundheitsbewußte Mittelschicht der Wahrnehmung einer, auf Grund der weiter eskalierenden technologischen Zerstörung von Lebensgrundlagen, zunehmenden Bedrohung durch Lebensmittel- und Umweltmanipulation, das Gefühl völliger politischer Ohnmacht gegenüber. Und damit ergibt sich hier eine der obigen Struktur analoge Situation, nur diesmal für eine andere Teilgruppe der Bevölkerung.

Anstatt den Parlamentarismus, den Technokratismus und die kapitalistische Produktionsweise zu hinterfragen findet auch hier eine Verschiebung der Angst in einen anderen Bereich statt.
Statt eines die Umwelt zerstörenden Industriesystem werden auf einmal die RaucherInnen zum Hauptfeind von Ex-Umwelt-AktivistInnen, die so auch nicht ihr eigenes Karriere-Arrangement mit dem System in Frage stellen müssen. In der AntiraucherInnenpolitik können die Umweltbewußten ihre Ängste kanalisieren und ausleben.

Für diese Analyse spricht, dass die Grünen führend bei der Forderung extrem asozialer und zum Teil an orwellsche Überwachungspraxen gemahnender Regelungen (ÄrztInnen als Spitzel) in der AntiraucherInenpolitik sind.


These 3

Die Ängste, die aus der Bedrohung durch Lebensmittel- und Umweltmanipulation herrühren, würden bei ihrer tatsächlichen Realisierung die Menschen zu politischen Einsatz für radikale Änderungen des Systems zwingen. Da dies als bedrohlich empfunden wird, kommt es zu einer Verschiebung der Ängste auf das Rauchen.
Die RaucherInnen werden mit all der aufgestauten Wut und dem Haß verfolgt, den die alltäglichen Gesundheits- und Umweltbedrohung der technokratischen Industriegesellschaft gerade bei Angehörigen der ex-reformorientierten 'grünen' Mittelschicht auslösen.









Antirauchpolitik als Teil der Biopolitik

"Derzeit wird ein Wandel in der Kriminalpolitik der Länder des fortgeschrittenen Kapitalismus diskutiert. Der auf (Re-)Integration zielende "penal welfarism" der 1960er und 1970er Jahre scheint [..] vorbei zu sein. An seine Stelle träten zwei neue Varianten, wobei bislang nicht geklärt scheint, in welchem Verhältnis diese beiden Varianten zu einander stehen:
Einerseits wird von einer Dramatisierung von Kriminalität und einer Diabolisierung von Kriminellen gesprochen, die darauf zielten, mit dem Thema Kriminalität einen "Herrschaftssicherungsmehrwert" [..] zu erwirtschaften - Kriminalpolitik diene dazu, politische Herrschaft zu stabilisieren oder auszubauen.
Andererseits wird [..] die These einer "new penology" oder "actuarial justice" vertreten, die einen Trend zum kühlen Management von Kriminalität behauptet. Diese Art des Denkens betrachtet deviantes Verhalten oder Kriminalität als normal, als eine soziale Tatsache, die nicht zu bewältigen, sondern allenfalls zu managen sei. Und: "It is sceptical that liberal interventionist crime control strategies do or can make a difference. Thus its aim is not to intervene in individuals' live for the purpose of ascertaining responsibility, making the guilty 'pay for their crime' or changing them. Rather it seeks to regulate groups as part of a strategy of managing danger."
Nicht mehr ein zu bessernder Täter steht also im Vordergrund der neuen Kontrolllogik, sondern die schlichte Reduzierung von Tatgelegenheiten im Zuge einer situativen Kriminalprävention.

Insofern wird auch von einer Spaltung in Re- und Entmoralisierungsstrategien gesprochen. Diese Unterscheidung ist dabei zunächst vor allem analytisch zu treffen; ihre Ausprägungen empirisch zu messen, ist hingegen schwer, weil sie nicht umstandslos an der "Kontrolloberfläche" abgelesen werden können. Das Beispiel der Gefängnisexpansion in den USA verdeutlicht dies: Masseninhaftierungen können sowohl in einer Degradierung und moralischen Verurteilung der Betroffenen begründet sein, aber eben auch jene kühle Rationalität zum Ausdruck bringen, die besagt: "Wer drinnen ist kann draußen keine unerwünschten Handlungen mehr begehen."
Beide Varianten lassen sich auch hinsichtlich der Kontrollpolitik in Großstädten erkennen. Die Politik der "Zero Tolerance" und insbesondere die mit ihr verbundene Rhetorik fußt auf der Dramatisierung von ursprünglich strafrechtlich nicht relevanten "social and physical Disorder"-Erscheinungen. Bettler werden zum Risiko für Nachbarschaften hochstilisiert; "dangerous mentally ill street people", "crack-heads" und "shopping-bag ladies" schienen zu Beginn der 1990er Jahre den Niedergang der Metropole New York einzuleiten (vgl. Guiliani/Bratton 1994). Diese Rhetorik hat auch Einzug in deutsche Städte gehalten wie z.B. das Papier "Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt" des Hamburger Innensenators Worcklage von 1996 exemplarisch verdeutlichte - dass die jeweils angesprochenen Personengruppen verschwinden sollen, ist der jeweils implizite Hintergedanke solcher Ansätze.

Kontrolle in Städten erfolgt jedoch zunehmend auch entpersonalisiert: Es sind vor allem spezielle Räume, die im Blickpunkt der neuen Sicherheitsinszenierungen stehen, und erst an zweiter Stelle Personen bzw. einzelne Gruppen. Der Begriff Gruppe verweist dabei auf zweierlei: Zum einen auf Ansammlungen von Personen (mit einer mehr oder weniger integrierten Struktur und einem Zusammengehörigkeitsgefühl), zum anderen auf "statistisch generierten Tätertypen" [..], wobei einzelne Personenkategorien, die aufgrund von vermeintlichen Risikofaktoren konstruiert werden, im Zentrum der Kontrolle stehen - und dies in Städten insbesondere dann, wenn sich solche Risikopersonen an bestimmten Orten zu Gruppen formieren.
Um es anhand eines Beispiels zu verdeutlichen: Der "abgewrackte Drogenabhängige" interessiert die Akteure formeller sozialer Kontrolle nur wenig, wenn er sich in einem städtischen Außenbezirk vor seinem Wohnheim aufhält - egal was er dort tut. Hält er sich jedoch mit mehreren anderen "heruntergekommenen Drogenabhängigen" vor oder innerhalb einer innerstädtischen Einkaufspassage auf, so zieht er höchste Aufmerksamkeit der Akteure sozialer Kontrolle auf sich."
[4]


In einer Analyse der hinter diesen beiden kriminalitätspolitischen Ansätzen stehenden Biopolitik lassen sie sich auch den beiden Feldern der Bevölkerungs- und der Körperpolitik zuordnen. Während die Diabolisierung des Kriminellen sich auf die Formierung der einzelnen Menschen und die Einschrift in den Leib richtet und im gewissen Sinn, den 'Kriminellen' als spezifische besondere Menschenkategorie konstruiert, ist das Management der Kriminalität primär auf den Bevölkerungskörper gerichtet. Beide stehen aber in einem ähnlichen Zusammenhang wie Rassismus und Rassenpolitik, erst durch das Konstrukt des Kriminellen, als eines spezifischen Menschentypus und durch die Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Ursachen von Kriminalität, wird das Kriminalitätsmanagement, das in der Separierung der Risikogruppen vom Rest der Bevölkerung besteht, scheinbar sinnvoll.

Auch in der Antirauchpolitik läßt sich dieser doppelte Ansatz der Biopolitik wiederfinden, RaucherInnen wurden zuerst zu Drogenabhängigen umkategorisiert und stigmatisiert[5], um dann mit technokratischen Managementmethoden das Rauchen durch Verwaltung der RaucherInnen zu kontrollieren.
Dabei geht es dieser Politik genau so wenig um die Gesundheit, wie es, der oben beschriebenen, repressiven Kriminalitätspolitik um die Reduktion der Kriminalität geht, sondern um eine produktive Verwaltung.

Ausgehend davon, dass Zigarettenrauchen u.a. zuerst einmal eine Reaktion auf Streß ist, ist es absurd hier repressiv vorzugehen, wenn gleichzeitig die Streßbelastung noch erheblich erhöht wird, z.B. durch die Verkürzung der Schulzeit um 1 Jahr und die permanente Bedrohung mit dem Menetekel der Arbeitslosigkeit.
Die Repression gegen Rauchen führt unter diesen Bedingungen höchsten zum Ausweichen auf andere Methoden des Streßabbaus und der Bedürfnisbefriedigung.
Im angloamerikanischen Raum steigt parallel zum Absinken der RaucherInnenzahlen die Zahl der Eßstörungen rapide und der Psychopharmakamarkt boomt.
In Deutschland stieg massiv im letzten Jahrzehnt parallel zur wieder verstärkten Stigmatisierung des Kiffens der Alkoholkonsum unter SchülerInnen. Ich habe 1983 mein Abitur an einem renommierten Gymnasium in Hannover gemacht, damals war in der Oberstufe auf privaten Feten der SchülerInnen Kiffen üblich. Das ist in etwa die Generation zu der heute die meisten Zuständigen der Schulaufsicht und die meisten Staatssekretäre gehören dürften. Verlogene Doppelmoral gehört zum Standart solcher repressiven Denksysteme.

Die Themen Kriminalität und Rauchen werden benutzt um neue Formen der Spaltung in der Bevölkerung einzuführen, durch die frühere Zuweisungen, wie Rasse und Geschlecht, teilweise ersetzt werden, um dann diese unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen optimiert der kapitalistischen Verwertung zuführen zu können. Das heißt es geht darum, eine legitimatorische Basis für die Auflösung des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Recht zu schaffen.

Da es auch in Deutschland im globalisierten Kapitalismus zunehmend nicht mehr das Ziel ist, der Gesamtbevölkerung die Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu sichern, sondern das Interesse, der Spaltung der Gesellschaft in ArbeitzplatzbesitzerInnen und eine pauperisierte Armutsbevölkerung für Billigjobs, gilt, wird die Biopolitik in diesem Sinn ausgerichtet.

Diejenige/derjenige die dies bzgl. der Antirauchpolitik für eine übertriebene Analyse hält, sollte auf die USA schauen, dort ist die sogenannte lifestyle-Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt bereits Gang und gebe. Drogentests gehören in den USA zum Alltag. RaucherInnen, Dicke und Kranke werden mit höchstrichterlichem Segen diskriminiert.
Einen Mann mit Leberschaden, der in den USA in einem Zulieferbetrieb der Chemischen Industrie arbeitete, wurde z.B. gekündigt mit dem Hinweis auf seine höhere Empfindlichkeit gegenüber chemischen Arbeitsplatzbelastungen. Höchstrichterlich wurde dies für Recht erklärt und damit letztendlich auch eine Legitimitation für genetische Diskriminierung geschaffen.

Aber auch in Deutschland gilt dies immer mehr;


"Auch in Deutschland ist der Drogentest inzwischen weit verbreitet. Immer öfter wird bei der Durchführung allgemeiner Untersuchungen hinsichtlich der Gesundheit eines zukünftigen Auszubildenden mittlerweile das Fläschchen für die Urinprobe gereicht: Es scheint üblich zu werden, Jugendliche auf Heroin, Kokain, Ecstasy und Cannabis zu testen. Normalisierung im Sinne der neuen Kontrollogik bedeutet in diesem Kontext zwar einerseits eine Entdramatisierung des Drogengebrauchs (im Sinne moralischer Verwerflichkeit), andererseits aber zugleich die Generalisierung des Verdachts - mit exkludierender Konsequenz bei positivem Befund.
Unternehmensleitungen und manche Betriebsräte begründen dies mit der Arbeitssicherheit: "Wer will schon auf einen bekifften Gabelstaplerfahrer treffen". Und was ist gegen dieses vermeintlich rationale Argument schon einzuwenden? Zusammenfassend kann man sagen, dass zwar möglicherweise die scharfen Formen der Repression (intensive polizeiliche Verfolgung und Verhaftung, lange Haftdauer etc.) gegenüber Drogenkonsumenten etwas weniger geworden sind. Zugleich allerdings haben sich die Formen niedrigschwelliger ordnungspolitischer Kontrollen vermehrt: Sie setzten früher und im Sinne eines generalisierten Verdachts breitflächig ein und dies darüber hinaus mit zum Teil viel weit reichenderen Folgen für den Einzelnen.
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang noch, dass nicht mehr nur die Konsumenten illegaler, sondern zunehmend auch die Gebraucher legaler Drogen in den Focus dieser neuen, ökonomisch orientierten Kontrolllogik geraten: Hubert Knoblauch hat dies bereits 1994 für den amerikanischen Umgang mit Rauchern beschrieben: Das in der Alltagssprache "lifestyle discrimination" genannte Phänomen bedeute, dass gesundheitsgefährdende Gewohnheiten ein potentieller Entlassungsgrund seien. Diese Entwicklung, so Knoblauch (1994: 265) gehe Hand in Hand mit der Tatsache, dass zunehmend mehr Unternehmen Raucher gar nicht erst einstellten. Auch der Raucher wird also nicht mehr moralisierend gegängelt, mit dem Rauchen aufzuhören, er hat lediglich die Konsequenzen seines epidemiologisch und ökonomisch bewerteten "freien" Handelns zu tragen. Niemand wird von einem Arbeitgeber erwarten, dass er einen Raucher einstellt, der statistisch betrachtet - wahrscheinlich - erheblich mehr Krankheitstage zu verzeichnen hat als sein nicht rauchender Mitbewerber.
Die Süddeutsche Zeitung meldete am 28.05.2004, ein Schüler einer Hautschulklasse sei bei einer Klassenfahrt mit einer Wasserpfeife erwischt worden, woraufhin der Schulleiter die Polizei rief und einen Massendrogentest veranlasste. Da alle 40 Schüler und Schülerinnen der Klasse positiv auf Cannabis getestet wurden, wird nun u.a. ein Schulverweis für alle Betroffenen diskutiert. In Deutschland testen u.a. Daimler-Chrysler, die Bayer AG, BASF, Höchst, die Deutsche Bahn AG, Bosch, Heidelberger Druckmaschinen, Kieler Stadtwerke und die Volkswagen AG zumindest die Kandidaten bei Neueinstellungen. (vgl. http://www.big-brother-award.de/2002/.work/).

Exkludierende Toleranz und Moral

Toleranz ist laut Wahrigs Deutschem Wörterbuch die Bereitschaft etwas "nachsichtig zu dulden oder großzügig zu ertragen." Herbert Marcuse formulierte 1965, dass jenes, "was heute als Toleranz verkündet und praktiziert wird, in vielen seiner wirksamsten Manifestationen den Interessen der Unterdrückung" dient [..]. Er prägte damit den Begriff der repressiven Toleranz. Reden würden toleriert, so lange sie nicht in Handeln überwechselten; der demokratische Diskurs diene gerade nicht dem sozialen Fortschritt, sondern der Aufrechterhaltung des Status quo, der durch Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung gekennzeichnet sei. Toleranz würde zur Aufrechterhaltung von Herrschaftsstrukturen instrumentalisiert und gleichzeitig bedeute sie eine diskursive Integration verschiedenster Positionen - laut Marcuse gerade auch der reaktionärsten."
[6]



These zu Rauchen und Biopolitik I

Antirauchpolitik dient wie eine Reihe weiterer neuer, auf das Subjekt und den Körper gerichteter, Formierungspolitiken der Konstruktion neuer Gruppenidentitäten zur Legitimation der Spaltungen der Gesellschaft in Haben und Habenichtse. Die Antirauchpolitik zu diesem Zeitpunkt ist dabei als Momentaufnahme eines kleinen Versatzstückes einer über Jahrzehnte wirksamen Umkodierung der Norm zu begreifen. Einer Norm, die darauf ausgerichtet wird, bestimmte Teile der Arbeitslosen zur selbstverschuldeten überflüssigen Bevölkerung zu erklären. Sie ist primär schichtspezifisch wirksam, das heißt, sie zieht vor allem Linien innerhalb der schlecht bezahlt beschäftigten Bevölkerung.
Die gehobene Mittelschicht und Oberschicht kann der Repression durch Rückzug in ihren Privatbereich leichter ausweichen.


These zu Rauchen und Biopolitik II

Im Neoliberalismus wird Konsum zunehmend nicht mehr als (immaginierte) 'Freiheit des Könnens', als Luxuskonsum, sondern als Konsum des (immaginiert) 'Notwendigen' strukturiert.

Der Wandel der Konsumkultur

Früher       Heute
     
Humanistische Bildung   -   Weiterbildung
Verschnörkelte Autos   -   Große (schein)funktionale Geländewagen
Rauchen   -   Psychopharmaka
Enthaarung als Luxus   -   Enthaarung als Hygiene
Süßigkeiten   -   Functional Food


Gesünder ist das Neue im Regelfall nicht, dies wird aber virtuell simuliert.
Die Antirauchpolitik ist Teil dieser Umorganisation des Konsums im Interesse der Konzerne. Auf einen notwendigen Konsum verzichtet niemand, auf Luxusgüter (z.B. Zigaretten) evtl. schon. Produkte als notwendig zu konzipieren ist damit im Interesse der Konzerne.
Vermutlich wird in 20 Jahren auch der Urlaub nur noch dann sozial akzeptabel sein, wenn er mit funktionalen Aspekten verknüpft wird (Wellness / Weiterbildung / Essseminare (Richtig Essen) / ..).
Nur in der Sonne zu liegen, wird dann als asozial gelten und ein Grund sein, dass Urlaubsgeld zu streichen.



Schluß

S. ist jetzt eine Süchtige.

Früher war S. eine kultivierte Raucherin. Ihre Zigaretten entsorgte sie in einem eigens mitgeführten silberbeschlagenem Klappaschenbecher. Ihr Rauchen war eine meditatives Ritual und zu anderen Zeiten auch Ausdrucksmittel intellektueller Brillianz. Geraucht wurde überall aber durchaus rücksichtsvoll, Absprachen waren in gegenseitiger Toleranz selbstverständlich.
Ich mochte es ihr beim Rauchen zuzuschauen, es war ein Genuß.

Die Hetzkampagnen gegen RaucherInnen haben sie verändert. Heute raucht sie hektisch in einer Ecke des Hinterhofes, damit die Kinder es nicht sehen. Die Kippen wirft sie achtlos zu Boden. Die Zigaretten sind fast nie ganz aufgeraucht. Aus der Kulturhandlung des Rauchens ist eine Sucht geworden.
Ein Ergebnis des Antirauchwahns.


'Der Wahn und die Verfolgung produzieren das süchtige Subjekt, dass vorab in der paranoiden Weltsicht der AntiraucherInnen nur als irreales Wahnprodukt vorhanden war.'

Es ist der Unterschied zwischen Klappensex und entspannter frei gelebter Homosexualität.
Bald wird die Polizei verdeckte Agent-Provokateurs einsetzen um RaucherInnen zu öffentlich sanktionierten Handlungen zu locken, um sie dann an den Pranger zu stellen. In Niedersachsen wurde bereits diskutiert Kinder als Testkäuferspitzel einzusetzen um Tabakläden zu überprüfen. In den USA sind Agent-Provokateurs zur Kriminalisierung von Homosexualität immer noch üblich.

Zuerst stigmatisierten sie die RaucherInnen, dann die 'Dicken' und dann ..





A. Frankiewicz - Hannover 2008 / 2021

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Zusatztext - Angstpolitik und Straflust in Antirauchdiskursen


Literaturhinweise

Texte und Infos zum biopolitischen Kontext der Antirauchpolitik, Rauchen und Gesundheit (Biopolitik hier in Anlehnung an Michel Foucault verstanden als auf die Subjekte (die Körper) und die Bevölkerung (den Bevölkerungskörper) gerichtete Machtpolitik), und Texte und Infos zum Kontrollwahn und Kontrollfetischismus dieser Gesellschaft als Kontext der Antirauchpolitik.

- 'Biopolitik im liberalen Staat' - Rüdiger Suchsland - telepolis - 20.09.2007, ein Text über Biopolitik, Rauchen, Gesundheit, die Politisierung des Körpers und die Entmündigung der BürgerInnen -

- 'Aufruf zur Denunziation' - Markus Born - telepolis - 07.12.2007, Rauchen und Gesundheitspolitik werden zum Schauplatz des Wiederaufgriffs deutscher Blockwartmentalität -

- 'Schöne neue (rauchfreie) Welt, Glossen zur Biopolitik' - Gerhard Unterthurner - IG Kultur Österreich, ein Analyse von Gesundheitspolitik, NichtraucherInnenpolitik unter biopolitischen Gesichtspunkten im Kontext neoliberaler Körperpolitiken und der neuen Risikodiskurse -

- 'Über Gene, Recht und Verantwortung' Thomas Lemke - Phase 2 - 17/2005, die Abntirauchpolitiken und die Gesundheitspolitik sind nicht zu trennen von allgemeinen biopolitischen Entwicklungen der Individualisierung von Krankheit und Tendenzen hin zu einem genetischen Rassismus -



Texte und Infos zur 'neuen' Straflust der Gesellschaft als Kontext der Antirauchpolitik, Rauchen und Gesundheit.

- Lizenz zur Grausamkeit - Birgit Gärtner - telepolis - 23.07.2007, ein Artikel über Straf- und Kriminalpolitik als Ersatzhandlung. Das im Text Dargestellte ist übertragbar auf die repressivwe Antidrogenpolitik, die auch in der Gesundheitspropaganda der Antirauchpolitik zur Wirkung kommt. Hier werden Ängste verschoben, und Ersatzhandlungen vollzogen, um den wirklichen politischen Problemen (der Systemfrage, der Infragestellung von Herrschaftsverhältnissen, usw.) auszuweichen -

- Der halbierte Erfolg der "akzeptierenden Drogenarbeit" oder: Ein Plädoyer für mehr "humane Drogenpolitik" - Henning Schmidt-Semisch & Jan Wehrheim, zur repressiven Toleranz der Drogenpolitik und aktueller Entwicklungen, der Ausweitung der Kontrolle durch allgemeinverfügbare Tests. Auch dies ist hier zwar nur am Rande auf die Gesundheitspolitik und das Rauchen bezogen, diese steht aber in diesem Kontext -

- 'Feuer Frei' - Susanne Weingarten - SZ, die Lektüre dieses Artikels dauert etwa drei Zigarettenlängen. Aber wehe, Sie greifen jetzt zur Schachtel! Dann hält Sie die halbe Welt für einen moralisch verkommenen Schwächling. Seit wann sind Raucher eigentlich zum Abschuss freigegeben? -



Texte und Infos zum Zusammenhang von Antirauchpolitik und Zensur, Rauchen und 'Gesundheits'politik.

- Gras statt Drogen. Warum Lucky Luke unentwegt an einem Grashalm kaut und was Homer Simpson mit Meskalin am Hut hat: zwei Publikationen zum Drogenkonsum im Comicuniversum - Roman Urbaner - telepolis - 07.07.2007, Retuschen bekannter Bilder sind nicht nur Teil des Stalinismus, sie gehören auch zum Instrumentarium der Gesundheitspolitik und Biopolitik im Kontext Rauchen und Tabakgefahren -



Texte und Infos zur Lust und dem Sinn des Tabakgenußes.

- Nach dem Krieg war vor dem Rauchverbot - Rüdiger Suchsland - in: TELEPOLIS - 16.08.2008 -, ein Artikel zum Ärger antirauchender SpießbürgerInnen und zum Sinn des Rauchens -



Texte und Infos von RaucherInnen-Initiativen, auch einiges zu den Stichworten Rauchen und Gesundheit & Elektrozigaretten.

- Raucherbewegung.eu -, Internetseite über Initiativen von RaucherInnen in Europa, die sich gegen aktuelle biopolitische Zwangsmaßnahmen und eine totalitäre Gesundheitspolitik richten -

- Netzwerk Rauchen -, Internetseite über Initiativen von RaucherInnen in Deutschland, Protetstseite gegen aktuelle biopolitische Zwangsmaßnahmen und eine totalitäre Gesundheitspolitik -



Texte und Infos aus dem NZZ-Feuilleton über Rauchen und RaucherInnen, die Geschichte des Tabaks und Gesundheitspolitiken, zum Teil auch aus RaucherInnenperspektive.

- Italo Svevos letzte Zigaretten - Peter Haffner - NZZ Folio - Zürich - 11/96, ZWEI VORSÄTZE hat Ettore Schmitz, der sich Italo Svevo nannte, in seinem Leben nicht wahr zu machen vermocht: Aufhören zu schreiben und aufhören zu rauchen. Den beiden Misserfolgen verdanken wir eines der schönsten literarischen Werke dieses Jahrhunderts -

- Im Reich der Sinne - Richard Klein - NZZ Folio - Zürich - 11/96, ein Text über die sublime Schönheit der Zigarette und eine verfehlte Gesundheitpolitik, die Zwischentöne zwanghaft ausblendet -

- 'Sauferei eines Nebels' - Hasso Spode - NZZ Folio - Zürich - 11/96, die Geschichte des Tabakgenusses in Europa -

- 'Luckies for my throat' - Joni Müller - NZZ Folio - Zürich - 11/96, Zigarettenwerbung einst und jetzt -

- Abgebrannt - Silvio Rizzi - NZZ Folio - Zürich - 11/96, Nachruf auf den Schweizer Stumpen -

- Auf den Spuren des braunen Goldes - Andreas Heller - NZZ Folio - Zürich - 11/96, Das Geheimnis der Havanna -

- Rechnen mit dem Rauch - Angelika Overath - NZZ Folio - Zürich - 11/96, Bremen - Drehscheibe des Tabakhandels -

- Krieg den Kippen - Daniel Weber - NZZ Folio - Zürich - 11/96, Steht der "Tobacco War" vor der Entscheidung? -



















Fußnoten

[1]
So heißt es in einem Vortragsmanuskript von Robert Proctor, einem Wissenschaftler, der von sich selbst sagt, dass er Tabak haßt, "Lungenkrebs war bis 1914 noch extrem selten - Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs blieb Lungenkrebs eine extreme Seltenheit: Im Jahre 1912, als Isaac Adler das erste Buch zum Thema veröffentlichte, mußte er sich dafür entschuldigen, auf eine solch seltene und unbedeutende Krankheit einzugehen. Medizinprofessoren, die einen Kranken mit dieser Krankheit behandelten, riefen ihre Studenten zusammen, um ihnen den Patienten zu zeigen: Den Studenten wurde gesagt, dass sie möglicherweise nie wieder einen Fall von Lungenkrebs sehen werden... Und tatsächlich gab es bis zum Jahre 1900 nur 142 veröffentlichte Fälle dieser Krankheit in der ganzen Welt..."
(Vortrag des US-Wissenschaftshistorikers Robert N. Proctor auf dem Heidelberger Symposium "100 Jahre organisierte Krebsforschung" - Heidelberg - 2000)
Damit beweist Robert Proctor aber unbeabsichtigt, dass eben nicht der Tabakkonsum an sich das Problem ist, sondern die MODERNE FORM des Tabakkonsums die Gesundheitsschäden primär bedingt. Denn Tabakkonsum gibt es wesentlich länger.

[2]
Die dunklen Seiten der Glücksdrogen - Zeitungsaertikel in: Die Welt - 27.11.2007 - http://www.welt.de/wissenschaft/article1405811/Die_dunklen_Seiten_der_Gluecksdrogen.html?page=3

[3]
Die Robert Wood Johnson Foundation stellte allein im Jahr 1999, folgende Summen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) für Forschung und Öffentlichkeitsarbeit gegen das Rauchen zur Verfügung:
- zu Forschungszwecken im Zusammenhang mit dem Rauchen
599.681 $ an die University of California in San Diego
123.670 $ an die Brandeis University
452.641 $ an die Firma Health Research, Inc., Buffalo, NY.
- außerdem im Zusammenhang mit dem Rauchen:
738.222 $ an den Entertainment Industries Council
155.338 $ an die Morehouse School of Medicine (Atlanta)
476.816 $ an die Alliance for Health Reform
323.592 $ an die Northwestern University Medill School of Journalism
294.680 $ an die Columbia University Graduate School of Journalism
968.784 $ an die Initiative SmokeLess States
49.942 $ an das "Center for the Advancement of Health"
2,4 Mio. $ an die Boston University School of Public Health
15 Mio. $ für die Medienkampagne "Partnership for a Drug-Free America"
2 Mio. $ an das Programm "Addressing Tobacco in Managed Care"
Die Robert Wood Johnson Foundation gehört zu 100% dem Pharmakonzern Johnson & Johnson.
Siehe dazu: - http://multinationalmonitor.org/hyper/issues/1988/12/mm1288_05.html -

[4]
Henning Schmidt-Semisch / Jan Wehrheim - Der halbierte Erfolg der "akzeptierenden Drogenarbeit" oder: Ein Plädoyer für mehr "humane Drogenpolitik" - https://www.researchgate.net/publication/238659502_Der_halbierte_Erfolg_der_akzeptierenden_Drogenarbeit_oder_Ein_Pladoyer_fur_mehr_humane_Drogenpolitik -
der Text ist eine überarbeitete Version des Beitrages:
"Exkludierende Toleranz. Ordnung und Kontrolle im Kontext akzeptierender Drogenarbeit" - in: B. Dollinger/W. Schneider (Hg.) - Sucht als Prozess. Sozialwissenschaftliche Perspektiven für Forschung und Praxis - S. 229-245- VWB-Verlag - Berlin 2005 -

[5]
Ein Konstrukt, das RaucherInnen auch selbst zumindest teilweise immer mehr übernehmen dadurch, dass sie anfangen wie Süchtige zu agieren.
Hier ist das soziale Konstrukt Sucht gemeint, nicht die pharmakologische Kategorie. Auffällig zu beobachten in den letzten Jahren ist, dass RaucherInnen zunehmend verklemmt und mit gesenkten Köpfen oder gar heimlich rauchen und sich dabei in Wechselwirkung mit Repression und Diffamierung ein Junkie-Verhalten angewöhnen. Ein Genußrauchen, Rauchen als Kultur, geht dabei zunehmend verloren.
Dabei dürfte dieses Selbstkonstrukt als Süchtige sogar abträglich für die Gesundheit sein.

[6]
Siehe Fußnote 4.























Die Weiterverbreitung, Nutzung und Spiegelung des Textes ist ausdrücklich erwünscht.
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