Manifest für unnatürliches Denken
- Zur Kritik der maschinellen Intelligenz -
Es gibt nichts natürlicheres als eine Maschine, die auf naturwissenschaftlichen berechenbaren Abläufen basiert, da die Naturwissenschaft nur Natur beschreibt, also nur das Natürliche in der Lage ist zu fassen. Dies gilt insbesondere für die falsch als künstliche Intelligenz bezeichnete maschinelle Intelligenz. Das Künstliche verfehlt die maschinelle Intelligenz zwangsläufig, da es in ihrer Sprache der Berechenbarkeit, vorab ausgeschlossen wird aus dem Diskurs. Und selbst das Natürliche kann maschinelle Intelligenz nur eingeschränkt erfassen, nur in einer reduzierten Eindeutigkeit, die der Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit nicht gerecht wird. Außerdem ist sie, da auf naturwissenschaftlichen Abläufen basierend und deshalb beschränkt, unfähig Natur zu transzendieren.
Die Menschliche Intelligenz hingegen ist artifiziell. Das Auseinandertreten von Zeichen Bezeichnetem im begrifflichen Denken ermöglicht Träumen und Denken unabhängig von der Wirklichkeit, das menschliche Denken kann in seiner Unnatürlichkeit nicht nur eine widersprüchliche Materialität erfassen, sondern auch neue Traumwelten schaffen und die Grenzen der Natur überschreiten im Gensatz zur maschinellen Intelligenz.
Das unnatürliche menschliche Denken ist gerade durch seine Unberechenbarkeit besser als jede Berechnung in der Lage die gleichermaßen unberechenbare in sich amorphe und widersprüchliche Wirklichkeit zu begreifen. Das Begreifen der Realität findet statt im Zwischenbereich der Differenz zwischen der Doppelung der Realität im Denken und im Traum und der Realität selbst, im Zwischenraum zwischen Zeichen und Bezeichnetem.
Die Maschine kennt demgegenüber nur Code und keinen Text, für sie ist Zeichen und Bezeichnetes eins. Für die menschliche Intelligenz existieren, dort wo sie ihre Unnatur annimmt, keine klaren Trennlinien, nicht bezogen auf Geschlechter und Rassen und auch nicht bezogen auf die Trennung von Subjekt und Objekt, da die Begriffsbildung aus den Zusammenhängen entsteht und aus der konkreten Anwendungspraxis. Sie steht damit im Gegensatz zur maschinellen natürlichen Intelligenz, für die jede Aussage immer eindeutiger Code, sei es der genetische Code oder der Binärcode der Computer, ist und kein Text mit all seiner Uneindeutigkeit und allen Ambivalenzen, der Sprache. Grenzüberschreitung, Auflösung von Grenzen sind die alltägliche Praxis des unnatürlichen Denkens im Gegensatz zur natürlichen maschinellen Intelligenz, unabhängig davon ob die maschinelle Intelligenz im Computer materialisiert ist oder im Menschen als ihr/ihm andressierte Form disziplinierten Denkens.
Das unnatürliche Denken entfremdet mich von mir selbst und auch darin liegt ein Teil der Freiheit und der Kern der Möglichkeit der Selbstbestimmung, für die das kritische Denken und absurde Träumen die Voraussetzung ist. Selbstdistanz, Reflektionsfähigkeit, die Fähigkeit sich selbst auch anders vorstellen zu können und die Fähigkeit vielfältige Welten zu imaginieren bilden die Grundlage selbstbestimmter Handlungsfähigkeit. Im linken Diskurs werden die Begriffe Entfremdung und Fremdbestimmung teils austauschbar verwandt, dabei ist Entfremdung, die Selbstdistanz, gerade eine entscheidende Fähigkeit um Fremdbestimmung zu verhindern.
Computer, maschinelle Intelligenzen, sind im Gegensatz dazu immer zu 100% bei sich und niemals sich selbst entfremdet, gerade darin zeigt sich ihr reaktionäres rückwärtsgewandtes Gesicht, ihre Fortschrittsunfähigkeit, ihr Versagen. Computer und die Programme, die irreführend als Künstliche Intelligenz bezeichnet werden, sind Instrumente des Stillstandes. Ihr Versprechen, auch die 100% Sichtbarkeit des Selbst der Menschen langfristig zu ermöglichen, ist nichts anderes, als die Drohung mit dem Tod des Subjektes, mit der Folge des absoluten Stillstandes, denn wie sollte ein solches Subjekt noch Zukünfte erträumen, jenseits der berechenbaren und schon immer festgelegten 100%.
Nun ist nicht zu befürchten, das sich dies realisiert, da die Uneindeutigkeit sowohl der materiellen Welt, als auch der immateriellen Wirklichkeit, die das Subjekt in seinen Gedanken und Träumen schafft, wirksam bleibt und subversiv diesen totalitären technokratischen Anspruch unterminiert. Die Gefahr ist aber, dass die Widersprüche ins Nichtsagbare gedrängt werden und in die Gesellschaft nur noch als Nachtmare zurückkehren. Um dies zu verhindern muss eine Linke die technokratischen Diskurse an den Phantasien, Träumen und Wirklichkeiten zerschellen lassen, die diese Diskurse ausschließen, sie muss dem im herrschenden Diskurs Unsagbaren, Unnatürlichen, Unwirklichen, dem als irrational Ausgegrenzten Raum geben, um die Wirklichkeit kritisch rational fassen zu können, im Gensatz zur reduktionistischen maschinellen Logik, die sich selbst als Künstliche Intelligenz bezeichnet, und dabei doch nicht anderes ist als naiver Naturalismus.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass die TechnokratInnen mit ihrem Versuch, die Geschichte Tod zu stellen, dem reaktionärem Traum vom "Ende der Geschichte", und dem Versuch, das Utopische zu verdammen, auf der diskursiven Ebene Erfolg haben könnten. Das Träumen und die Widersprüchlichkeit der Materialität würden deshalb zwar nicht aufhören zu existieren, das Träumen würde dann aber religiösen und antirationalen FanatikerInnen überlassen und würde zum Alpträumen, dann würde Angst autoritäre Zukunftsentwürfe autorisieren - statt dessen brauchen wir Träume auf den Flügeln der Freiheit.
Strukturen überwindendes Denken, freie Gedanken, setzen nicht nur die Differenz zu Realität voraus, ihre Basis ist die Fähigkeit zur Distanz zu sich selbst - Selbstentfremdung -, schon in der Kritik und in der Utopie erst recht. Ansonsten verkommen Utopien zu technokratischen Reißbrettentwürfen der Reproduktion banaler Klischees, die gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und Subjektentwicklungen ausblenden oder, in Nichts weniger problematisch, zum reaktionären Wunschtraum der Wiederherstellung des Gestern.
Die maschinelle Intelligenz, die nur vorgibt künstliche Intelligenz zu sein, in Realität aber nichts anderes ist als naive naturalistische Modellrechnung, kennt kein kritisches Verhältnis zu sich selbst oder der Welt. Sie ist epistemologisch dem reaktionären Naturalismus des wilhelminischen Kaiserreichs verhaftet, dessen Musterwissenschaft die Rassenkunde war und entsprechend reaktionär ist sie in ihren Utopien, in der Fortschrift gesellschaftlicher Verhältnisse und ihren Subjektentwürfen.
Ein Beispiel dafür sind die Zukunftsentwürfe technokratisch optimierter Städte, in denen nichts dem Zufall überlassen bleibt, Freiräume nur noch als Erholungsregulativ existieren und in denen sich selbst für die kapitalistische Ausbeutung optimierende Subjekte glücklich auf ihr Ende warten. Am bekanntesten sind hier sicher die unterschiedlichen und doch gleichartig dystopischen Planungen der Think Tanks aus dem Silicon Valley für die Stadt der Zukunft. Europäische technokratische Zukunftsentwürfe, die sich z.B. in den EU Forschungsstrategien spiegeln, sehen aber nicht weniger dystopisch und menschenfeindlich aus. Meist handelt es sich um sehr männlich dominierte Technikphantasien, und doch macht die Integration von Frauen in die Entwicklungsteams nichts besser.
Kritisch rationale Einwände werden meist durch die formalistisch technokratische Regulation der Diskurse ins Abseits gestellt, zum Teil aber auch offensiv bekämpft. In der Ausgrenzung kritischer Rationalität durch die Rechenknechte und -mägde des neuen technischen Naturalismus, dem Versuch kritische Intellektuelle, seien es VertreterInnen des Poststrukturalismus, der feministischen Theorie oder VertreterInnen kritischer Aufgriffe von Marxismus und psychoanalytischer Theorie, aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, zeigt sich dabei vor allem die Angst der BedienerInnen der Wahrheitsmaschinen zur berechnenden Reduktion der Welt, ihre Angst vor dem Unberechenbaren, vor dem unnatürlichen Denken und einer widersprüchlichen Materialität.
Nicht verwunderlich ist es, dass der Versuch der 4.0-Technokratie, die Realität auf das Maß ihres von Angst vor dem Unbestimmten, dem Unbekannten und dem Unbewussten reduzierten Horizontes zu schrumpfen, sich selbst in ihrer Modellwelt einzukerkern und die Widersprüche der Wirklichkeit auszuschließen, um alles inklusive sich selbst kontrollieren zu können, nur zur Wiederkehr dieser Ausschlüsse als Untotes führt, die als Geister die Kerker heimsuchen und die, die sich dort eingeschlossen haben, in den immer weiter gehenden Einschluss treiben. Die Furcht vor der unberechenbaren Realität nimmt immer weiter zu. Die Zusammenbrüche der, auf berechenbare Eindeutigkeit festgelegten, Rechenmodelle führen deshalb nicht zur kritischen Reflektion des eigenen reduzierten Ansatzes, nicht zum Begreifen der Welt und der Fehler dieses Denkansatzes, sondern zu seiner Ausweitung, wird der Fehler doch zwanghaft immer nur im Mangel an erhobenen Daten gesucht, da die technische Kontrolle der Wirklichkeit für diese Subjekte eine unhintergehbare Notwendigkeit ist, um sich nicht in den eigenen Ängsten zu verlieren.
Gerade in ihrer Realitätssucht, dem Ziel immer 'realere' virtuelle Welten zu erschaffen, dem Ziel der totalen Berechenbarkeit, kommt den TechnokratInnen die Fähigkeit zum Begreifen dieser Realität, die gerade die Distanz zur Realität voraussetzt, die die Nichtidentität als Basis braucht, abhanden und so können sie die Wirklichkeit immer nur verfehlen. Damit kommt ihnen auch die Möglichkeit abhanden, die Widersprüche, Abweichungen und das Nichtidentische der Realität zu erfassen, das gerade Zukunft ermöglicht, die Welt die sie beschreiben, ist tot.
Nichts weniger als der Sturz der Religion der Moderne, der Naturwissenschaft und der mit ihr verknüpften Logik der Berechnung, ist notwendig um die Möglichkeit von Zukunft zurück zu erlangen. Sei es der gerade aktuelle Glaube an die Allmacht der Künstlichen Intelligenz, der Datenfetischismus, der Daten höher wertet als die Erfahrung der Wirklichkeit, die Anbetung des Computers als perverse reaktionäre Wunschmaschine oder die negative Anbetung der maschinellen Intelligenz in Form des Glaubens an die Allmacht der Überwachungstechnologien, all diesen Herrschaftszugriffen ist die Macht der Technik nicht inhärent, sondern beruht darauf, dass die Menschen sich ihr unterwerfen. Die technologische Herrschaft ist nichts anderes als materielle und immaterielle Negation der Wirklichkeit, damit wird die Negation der Negation zum eigentlichen utopischen Handeln. Die Möglichkeit liegt ganz bei uns.
Die kritisch auf sich selbst gewandte Rationalität der Menschen, ihre Fähigkeit zu unnatürlichen Gedanken und Träumen und zur Infragestellung ihres Denkens und ihrer selbst, kann nicht nur die Grenzen der physische Materialität überschreiten, sie kann auch als Instrument zur Dekonstruktion der ideologischen Herrschaft der Technik- und Naturwissenschaften genutzt werden.
Lasst uns Handlungsspielräume für die einzig wirkliche Form der Begreifens der Realität, die menschliche kritische Rationalität und ihre Fähigkeit zum unnatürlichem Denken, schaffen im offenen Widerstand gegen die naturalistische maschinelle Trivialisierung der Wirklichkeit und des menschlichen Seins durch die inversen Luditinnen und Luditen der Moderne 1, die statt der Maschinen heute die Menschen zerschlagen, um das ewig Gestrige in ihren Datenschreinen zu bewahren und jede grundsätzliche Veränderung berechnend zu unterbinden.
Für unnatürliche Träume und freies Denken!
Ada - Hannover, 2018 -
Fin
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Und noch ein kurzer Text; Solidarität mit den Hamstern
Fußnoten
1 Wenn die Gesellschaft sich zurück entwickelt, glaubt die technische Nachhut von sich selbst, sie sei die Avantgarde.
Zuletzt aktualisiert 30.01.2021
Manifest für unnatürliches Denken - Zur Kritik der maschinellen Intelligenz - Text über Künstliche Intelligenz, Kritik, Begreifen, Maschinen, Industrie 4.0, Gefahr, AI, KI
Solidarität mit den Hamstern
Zum Zusammenhang des Aussterbens der Feldhamster mit dem Wahlomat der Bundeszentrale für Politische Bildung und wieso kritische intellektuelle sich mit Feldhamstern solidarisch erklären müssen.
Den Feldhamstern geht die Nahrungsgrundlage verloren, weil in der modernen Landwirtschaft Monokulturen und eine immer effizientere und intensivere Flächennutzung weder Randstreifen noch Kornreste auf dem Acker stehen bzw. liegen lässt. Auch die Nutzungsplanung der Landwirtschaft wird inzwischen von der Reduktion der landwirtschaftlichen Nutzflächen auf Datensätze, ihre Algorithmisierung und die darauf aufbauende Optimierung der Produktion bestimmt. Der Feldhamster ist in diesen Datensätzen nicht vorgesehen. Die Künstliche Intelligenz der Algorithmen weiß nicht einmal, was ein Feldhamster ist.
Ich kann einfach nicht umhin, mich mit dem Feldhamster zu identifizieren, mache ich doch immer wieder vergleichbare Erfahrungen:
- Foren für Bekanntschaften arbeiten z.B. mit ähnlichen Algorithmen, wie die landwirtschaftliche Flächenoptimierung, würde ich sie nutzen, wäre ich vergleichbar dem Hamster der Künstlichen Intelligenz ausgeliefert, ohne auf die Zuweisung in Unkenntnis des Algorithmus Einfluss nehmen zu können, sozusagen landwirtschaftlich optimiert gepaart. Mir ist das suspekt mich von einem Algorithmus leiten zu lassen, bei dem ich nicht nachvollziehen kann, wie das Ergebnis zustande kommt. Und meist kann ich nicht einmal das dort unterbringen, was mir wichtig erscheint.
- Meine Ärztin muss jetzt auch jede Behandlung für den großen Algorithmus aufarbeiten, diesen intelligent zu nennen erscheint aber auch ihr fragwürdig.
- Das Studium ist mit Bachelor und Master zum Glück erst nach meiner Zeit vollständig durchalgorithmisiert worden. Kritisches Nachfragen jenseits der Multiple Choice Frage stört auch nur die wissenschaftlichen Anpassungsprozesse an die zukünftige Unterordnung unter die Systeme der Künstlichen Intelligenz.
- Und natürlich der Wahlomat. Ich habe einfach nicht das Skript gefunden, dass es mir erlaubt, dort die Fragen zu stellen, die politisch entscheidend sind. Die Künstliche Intelligenz, bzw. ihre ProgrammiererIn, hat Fragen nicht vorgesehen. Die Bundeszentrale für Politische Bildung hält das Fragen offensichtlich für überflüssig in einer Demokratie, ankreuzen reicht.
Eine Bekannte meint, das läge nur daran, dass ich mir als linke Intellektuelle zu viele Gedanken machen würde. Ich bin nach ihr einfach altmodisch, wenn ich mein Handeln nicht von Algorithmen bestimmen lassen will. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz macht doch nur alles einfacher, mal abgesehen vom zunehmenden bürokratisch-technokratischen Aufwand in Arztpraxen, Krankenhäusern, Universitäten, Schulen, Kultureinrichtungen, Vereinen, Firmen, in der Verwaltung, im Alltag und ... - aber das sind ja Ausnahmen.
Und doch bleibe ich dabei: Die Algorithmisierung der Welt durch Künstliche Intelligenz trifft sowohl die kritisches Intellektuelle, als auch den Feldhamster. Auch die Nischen für kritische intellektuelle werden immer kleiner.
Also noch einmal: Solidarität mit dem Feldhamster, nieder mit der Künstlichen Intelligenz und dem Algorithmus. Zernagt die Kabel die Euch binden.
Ada - Hannover 2018 -
Nachsatz: Hier ein Link zum Feldhamster im alltäglichen revolutionären Kampf für Brot und Selbstbestimmung - https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Umwelt-Nachhaltigkeit/Naturschutz/Flora-und-Fauna/Feldhamster-in-Pattensen -